Keine Amtshaftung im Diesel-SkandalLeitsatz Der Schutzzweck der Richtlinie 46/2007/EG (Typgenehmigungsverfahrens-RL) sowie der Verordnung 715/2007/EG (Fahrzeugemissionen-VO) erstreckt sich auch im Hinblick auf mögliche Schadensersatzansprüche gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen fehlerhafter Erteilung einer Typgenehmigung durch das Kraftfahrtbundesamt und unzureichender Umsetzung der beiden Regelwerke nicht auf das wirtschaftliche Selbstbestimmungsrecht der Fahrzeugkäufer (Fortführung von BGH, Urt. v. 25.05.2020 - VI ZR 252/19 - BGHZ 225, 316; BGH, Urt. v. 30.07.2020 - VI ZR 5/20 - NJW 2020, 2798; BGH, Beschl. v. 01.09.2021 - VII ZR 59/21). - A.
Problemstellung Der u.a. für die Staatshaftung zuständige III. Zivilsenat hatte zu entscheiden, ob der Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasreinigung versehenen Kraftfahrzeugs die Bundesrepublik Deutschland auf Amtshaftung in Anspruch nehmen kann.
- B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung Der Kläger nimmt die Bundesrepublik Deutschland wegen des Erwerbs eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasreinigung versehenen Kraftfahrzeugs auf Amtshaftung in Anspruch. Er erwarb am 12.09.2014 einen gebrauchten Audi A4 (km-Stand: 11.303 km) zu einem Kaufpreis von 35.440 Euro. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor des Typs EA 189 ausgestattet. Der Kläger wirft der Beklagten insbesondere vor, durch ihre zuständige Typgenehmigungsbehörde, das Kraftfahrtbundesamt, für den hier in Rede stehenden Fahrzeugtyp eine fehlerhafte Typgenehmigung erteilt und Art. 46 der Richtlinie 46/2007/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 05.09.2007 zur Schaffung eines Rahmens für die Genehmigung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge (ABl Nr. L 263 v. 09.10.2007, S. 1-160 - im Folgenden: RL 2007/46/EG) unzureichend umgesetzt und kein ausreichendes Sanktionssystem erlassen zu haben. Durch diese Pflichtverletzungen sei er zum Abschluss des Kaufvertrags gebracht worden, den er sonst nicht geschlossen hätte. Die Beklagte hafte ihm daher auf Schadensersatz. Das Landgericht hat die Klage als unzulässig abgewiesen. Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg gehabt. Mit der Revision, deren Zulassung der Kläger erstrebt, möchte er sein Begehren in vollem Umfang weiterverfolgen. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die fraglichen Normen die Interessen der Erwerber in Bezug auf die Gewährleistung der Erstzulassung und hinsichtlich des Interesses am Fortbestand der Betriebserlaubnis schützen. Insofern verleihen diese Normen dem Einzelnen Rechte; hierfür genügt es, dass eine Norm darauf abzielt, einem hinreichend bestimmten Personenkreis ein Recht einzuräumen, dessen Inhalt sich anhand der verletzten Norm ermitteln lässt. Es fehlt jedoch an dem unmittelbaren Kausalzusammenhang zwischen einem – unterstellten – qualifizierten Verstoß gegen das Unionsrecht und dem geltend gemachten Schaden. Der unionsrechtliche Staatshaftungsanspruch setzt einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Verletzung der Norm und dem geltend gemachten Schaden voraus. Die Prüfung dieses Zusammenhangs, die von den nationalen Gerichten vorzunehmen ist, erfolgt unter Berücksichtigung der Natur der verletzten Norm. Der Sache nach bedeutet dies, dass die Frage, ob dem Einzelnen durch eine Norm des Unionsrechts ein Recht verliehen worden ist, durch Schutzzwecküberlegungen der verletzten Norm zu ergänzen ist, um den zu ersetzenden Schaden näher zu bestimmen. Ein Schaden, der nicht in den Schutzbereich des verletzten Unionsrechts fällt, ist nicht ersatzfähig. Die in Rede stehenden Normen bezwecken nicht den Schutz vor den vom Kläger geltend gemachten Schäden. Zwar haben die RL 2007/46/EG und die VO 715/2007/EG insofern drittschützende Wirkung zugunsten der Fahrzeugerwerber, als deren Interesse betroffen ist, „dass ein erworbenes Fahrzeug zur Nutzung im Straßenverkehr zugelassen wird und dass diese Nutzung nicht aufgrund mangelnder Übereinstimmung mit dem genehmigten Typ bzw. den für diesen Typ geltenden Rechtsvorschriften untersagt wird“ (Stellungnahme der Europäischen Kommission in der aufgrund des Vorabentscheidungsersuchens des LG Gera, inzwischen aber aus dem Register des Gerichtshofs der Europäischen Union gestrichenen Rechtssache C-663/19 v. 19.12.2019 Rn. 75 ff.). Die Verletzung dieses Interesses macht der Kläger jedoch nicht geltend. Sein Fahrzeug ist zugelassen und die Betriebserlaubnis nicht wieder entzogen worden. Es kommen allenfalls mittelbare Folgeschäden, die sich aus der bloßen – hier aber nicht als konkret und ernstlich drohend dargelegten – Gefahr einer Betriebsuntersagung ergeben, in Betracht. Vielmehr macht der Kläger als verletztes Schutzgut sein wirtschaftliches Selbstbestimmungsrecht und damit den Schutz des Käufers vor dem Abschluss eines ungewollten Vertrags geltend. Diese Interessen werden jedoch vom Schutzzweck der RL 2007/46/EG und der VO 715/2007/EG nicht erfasst. Dass ein weiter gehender Schutzzweck bestünde, ergibt sich entgegen der Ansicht der Beschwerde auch nicht aus der bereits erwähnten Stellungnahme der Europäischen Kommission vom 19.12.2019. Zwar ist dieser die Auffassung der Kommission zu entnehmen, die RL 2007/46/EG und die VO 715/2007/EG hätten zugunsten der Fahrzeugkäufer drittschützende Wirkung. Jedoch ergibt sich aus der Rn. 75, wie bereits ausgeführt, dass Schutzzweck nur ist, dass ein erworbenes Fahrzeug zur Nutzung im Straßenverkehr zugelassen wird und bleibt. Entgegen der Ansicht des Klägers folgt auch nichts Abweichendes aus dem Umstand, dass die vorzitierten Entscheidungen Ansprüche gegen die Hersteller der betroffenen Fahrzeuge betrafen, während im vorliegenden Fall eine Forderung wegen eines Verstoßes des Kraftfahrtbundesamts gegen die vorgenannten Regelwerke geltend gemacht wird (namentlich Art. 8, 11, 12, 26 und 46 RL 2007/46/EG). Die Pflichten der Typgenehmigungsbehörden dienen dazu, die Einhaltung der für die Fahrzeughersteller geltenden Pflichten zu sichern. Haben diese in Richtung auf die Käufer, wie ausgeführt, lediglich den Schutzzweck, die Zulassung der Fahrzeuge zu gewährleisten, spricht nichts dafür, dass die Pflichten der Typgenehmigungsbehörde gegenüber diesem Personenkreis einen weiter gehenden oder anderen Inhalt haben. Im Gegenteil werden die Behörden in erster Linie im öffentlichen Interesse tätig und sind vor allem von dem – vom Kläger geltend gemachten – Abschluss eines (unerwünschten) Vertrags sachlich weiter entfernt als der Fahrzeughersteller.
- C.
Kontext der Entscheidung Die Entscheidung steht in Übereinstimmung mit den Erkenntnissen anderer mit der justitiellen Aufarbeitung des sog. Dieselskandals befasster Zivilsenate des BGH. So hat der VII. Zivilsenat darauf hingewiesen, dass die Kommission, die sich in ihrer oben erwähnter Stellungnahme zu dem mittlerweile aus dem Register des EuGH gestrichenen Vorabentscheidungsersuchen des LG Gera äußert, daran festhält, dass offensichtlich nur die nationalen Gerichte in der Lage sind, die betreffenden EU-Vorschriften unter das Konzept einer drittschützenden Norm zu subsumieren. Sie meine zwar im Ergebnis, die zwischenzeitlich zum 31.08.2020 außer Kraft getretene Richtlinie 2007/46 und die Verordnung (EG) 715/2007 bezweckten „den Schutz aller Käufer eines Fahrzeugs einschließlich des Endkunden vor Verstößen des Herstellers gegen seine Verpflichtung, neue Fahrzeuge in Übereinstimmung mit ihren genehmigten Typen bzw. den für ihren Typ geltenden Rechtsvorschriften nach Anhang IV zur Richtlinie 2007/46 einschließlich, unter Anderem, der Verordnung 715/2007 sowie insbesondere ihres Artikels 5 in den Verkehr zu bringen“. Dies besage aber für die Frage, ob damit auch der Schutz des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts und damit der Schutz des Käufers vor dem Abschluss eines ungewollten Vertrages erfasst sein soll, nichts. Es seien keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Gesetz- und Verordnungsgeber mit den genannten Vorschriften (auch) einen Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit und speziell des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts der einzelnen Käufer bezweckte und an die (auch fahrlässige) Erteilung einer inhaltlich unrichtigen Übereinstimmungsbescheinigung einen gegen den Hersteller gerichteten Anspruch auf (Rück-)Abwicklung eines mit einem Dritten geschlossenen Kaufvertrags hätte knüpfen wollen (BGH, Beschl. v. 01.09.2021 - VII ZR 59/21 Rn. 3). Zuvor hatte bereits der VI. Zivilsenat mit ausführlicher Begründung herausgearbeitet, dass das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, nicht im Aufgabenbereich der Norm liegt (BGH, Urt. v. 25.05.2020 - VI ZR 252/19 Rn. 76).
- D.
Auswirkungen für die Praxis Der III. Zivilsenat hat keine Veranlassung gesehen, die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO aufgrund einer sich in einem künftigen Revisionsverfahren ergebenden Notwendigkeit eines Vorabentscheidungsersuchens an den EuGH zuzulassen. Die Voraussetzungen für eine Vorlage der Sache an den EuGH gemäß Art. 267 Abs. 1 und 3 AEUV zu der von der Nichtzulassungsbeschwerde angeführten Frage, ob bzw. inwieweit die hier relevanten Normen der Richtlinie 2007/46/EG und der Verordnung 715/2007/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.06.2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge im Verhältnis Käufer - Mitgliedstaaten den Schutz der Käufer eines Fahrzeugs vor Verstößen des Herstellers bezwecken, liegen nach Auffassung des BGH nicht vor (Rn. 8 der Besprechungsentscheidung). Die Richtigkeit seiner vorstehend dargelegten Erwägungen stehe zur Überzeugung des Senats mit der nach der acte-clair-Doktrin erforderlichen Gewissheit fest (Rn. 17 der Besprechungsentscheidung).
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