Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
I. Im Juli 2021 führte die Bundeswehr ein neues Beurteilungssystem für die dienstlichen Beurteilungen von Soldaten ein. Danach sind alle zwei Jahre zu festgelegten Beurteilungsstichtagen eine Regelbeurteilung und eine Personalentwicklungsbewertung zu erstellen, die sich jeweils aus Anteilen zusammensetzen, die von einem Erst- und einem Zweitbeurteiler erstellt werden (sog. Anteil Erstbeurteiler bzw. Zweitbeurteiler). Die Regelbeurteilung betrachtet retrospektiv die von dem beurteilten Soldaten im Beurteilungszeitraum erbrachten Leistungen und schließt mit einem Gesamturteil des Zweitbeurteilers ab. Die Personalentwicklungsbewertung enthält dagegen in prospektiver Betrachtung eine Reihe von Aussagen, Einschätzungen und Bewertungen, wie etwa eine Entwicklungsprognose (Potenzial bezogen auf das Erreichen einer bestimmten Besoldungsgruppe), Eignungsaussagen zum Statuswechsel, zum Laufbahnwechsel und für bestimmte herausgehobene Funktionen sowie Hinweise zum Verwendungsaufbau (darunter Vorschläge für Folgeverwendungen), ergänzenden Ausbildungsmaßnahmen, Lehrgängen und sonstigen Personalentwicklungsmaßnahmen.
Der Antragsteller erhielt zum Beurteilungsstichtag 31.07.2021 neben einer Regelbeurteilung eine Personalentwicklungsbewertung nach dem neuen Beurteilungssystem. In der Personalentwicklungsbewertung attestierte der Erstbeurteiler dem Antragsteller, er habe bereits jetzt die Beförderungsreife für die Besoldungsgruppe A 16 erreicht. Demgegenüber führte der Zweitbeurteiler abschwächend aus, bei gleichbleibend steigender Leistungskurve sei eine Verwendungsperspektive bis A 16 erkennbar. Der Antragsteller erblickte in diesen Aussagen einen Widerspruch und erhob – jeweils erfolglos – Beschwerde (§ 1 Abs. 1 WBO) und weitere Beschwerde (§ 16 WBO). In dem sodann von ihm angestrengten gerichtlichen Verfahren vor dem 1. Wehrdienstsenat des BVerwG verfolgte der Antragsteller sein Begehren weiter und kritisierte eher nebenbei, es fehle auch an einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage für das neue Beurteilungsinstrument der Personalentwicklungsbewertung. Diese Kritik griff das BVerwG auf.
II. Das BVerwG hat zunächst darauf hingewiesen, dass Regelungen, die in das grundrechtsgleiche Recht der Soldaten auf ein dienstliches Fortkommen nach Eignung, Befähigung und Leistung (Art. 33 Abs. 2 GG) eingreifen oder die dieses Recht maßgeblich ausgestalten, dem verfassungsrechtlichen Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes unterliegen. Hiermit sind bestimmte Schlussfolgerungen verbunden, die der 1. Wehrdienstsenat parallel zu seiner – Regelbeurteilungen von Soldaten betreffenden – Entscheidung (BVerwG, Urt. v. 29.08.2023 - 1 WB 60/22 Rn. 36 ff.; vgl. dazu Koch, jurisPR-BVerwG 6/2024 Anm. 3) entwickelt hat und die sich stichpunktartig wie folgt zusammenfassen lassen:
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Die für die Verwirklichung des grundrechtsgleichen Rechts aus Art. 33 Abs. 2 GG auf gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt wesentlichen Regelungen sind durch den parlamentarischen Gesetzgeber zu treffen.
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Ein Bereich, der materiell-rechtlich wesentlich von Art. 33 Abs. 2 GG geprägt ist, betrifft das Recht der dienstlichen Beurteilungen, weil sie das maßgebliche Instrument der Personalsteuerung sind, mit dem über das grundrechtsgleiche Recht der Soldaten auf „ein angemessenes berufliches Fortkommen“ entschieden wird.
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Die grundlegenden Vorgaben für die Erstellung von dienstlichen Beurteilungen dürfen nicht in Verwaltungsvorschriften, sondern müssen in Rechtsnormen geregelt werden.
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Hat der parlamentarische Gesetzgeber die wesentlichen Vorgaben selbst geregelt, kann er die nähere Ausgestaltung in einer nach Inhalt, Zweck und Ausmaß bestimmten Ermächtigungsnorm gemäß Art. 80 Abs. 1 GG dem Verordnungsgeber überlassen.
Von diesen Grundsätzen ausgehend hatte der 1. Wehrdienstsenat des BVerwG in dem erwähnten Beschluss zu Regelbeurteilungen von Soldaten in Abkehr von seiner früheren Rechtsprechung (vgl. BVerwG, Beschl. v. 26.05.2009 - 1 WB 48/07 Rn. 40, 42 - BVerwGE 134, 59) entschieden, dass dem Beurteilungswesen der Soldaten mit den geltenden Beurteilungsrichtlinien derzeit (gemeint ist im Zeitpunkt seiner Entscheidung) eine den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügende gesetzliche Grundlage fehle. Die §§ 27, 93 Abs. 1 Nr. 2 SG enthielten keine ausreichenden gesetzlichen Grundlagen für die Erstellung von Beurteilungen und sie genügten auch nicht den Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 GG an eine nach Inhalt, Zweck und Ausmaß bestimmte Ermächtigung des Verordnungsgebers. Trotz dieses Befundes hatte der Senat die Beurteilungsrichtlinien für weiter anwendbar erklärt.
In dem vorliegenden Verfahren ist das BVerwG zwar zu dem Befund gelangt, dass es auch für das Instrument der Personalentwicklungsbewertung an einer hinreichenden gesetzlichen Grundlage fehlt. Anders als in seiner Entscheidung zu Regelbeurteilungen für Soldaten hat es einer übergangsweisen Weitergeltung der insoweit maßgeblichen Regelungen der Beurteilungsrichtlinien aber eine klare Absage erteilt.
Nach Auffassung des BVerwG ist die Personalentwicklungsbewertung, wie die planmäßige bzw. Regelbeurteilung, ein Instrument der Personalsteuerung, mit dem über das grundrechtsgleiche Recht der Soldaten (Art. 33 Abs. 2 GG) auf ein angemessenes dienstliches Fortkommen entschieden wird. Es hat dazu hervorgehoben, dass dies besonders deutlich hervortritt bei den Eignungsaussagen zum Statuswechsel (Übernahme als Berufssoldat), zum Laufbahnwechsel und für herausgehobene Dienstposten wie Kompaniefeldwebel und Kommandeur, denen eine unmittelbar förderliche oder aber förderungshindernde Bedeutung zukommt. Auch bei Auswahlentscheidungen können Personalentwicklungsbewertungen nach den Feststellungen des 1. Wehrdienstsenats berücksichtigt werden. Unterliegt dieses Instrument damit denselben formell- und materiell-rechtlichen Maßgaben des Art. 33 Abs. 2 GG wie die Regelbeurteilung, bedarf es auch einer gesetzlichen Grundlage, die die Grundlinien der beabsichtigten prospektiven Personalsteuerung durch die personalbearbeitenden Stellen der Bundeswehr vorzeichnet und nicht der Verwaltung überlässt. Dazu verhielten sich im Zeitpunkt der Senatsentscheidung weder das Soldatengesetz noch die Soldatenlaufbahnverordnung als in Frage kommende gesetzliche Grundlagen.
Für das übergangsweise Fortgelten der maßgeblichen Regelungen in den Verwaltungsvorschriften der Bundeswehr hat das BVerwG keine Rechtfertigung gesehen und dies wie folgt begründet: Eine Abweichung von der Unanwendbarkeitsfolge kommt vor allem in Betracht, wenn die Rechtsprechung in der Vergangenheit von der Rechtmäßigkeit eines Handelns durch Verwaltungserlass ausgegangen ist und wenn durch die mangelnde Beachtung einer Verwaltungsvorschrift in einer Übergangszeit ein Zustand entstünde, der von der verfassungsmäßigen Ordnung noch weiter entfernt ist als die bisherige Lage. Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben. Die Personalentwicklungsbewertung stellt einerseits ein neues Instrument der Personalführung dar, zu dem es keine Rechtsprechung gibt, die zuvor eine Regelung nur durch Verwaltungsvorschriften gebilligt hätte. Sie enthält auch in der Sache Neuerungen, die ohne Vorbild sind. Dies gilt insbesondere für die „auf Vorrat“ getroffenen Eignungsaussagen. Auf der anderen Seite ist nicht erkennbar, dass durch den Wegfall der Personalentwicklungsbewertung bis zu einer gesetzgeberischen Entscheidung über deren Einführung ein Zustand entstünde, der von der verfassungsmäßigen Ordnung noch weiter entfernt ist als die bisherige Lage. Der Senat hat in der Entscheidung zur Regelbeurteilungen von Soldaten entschieden, dass die bis zum 30.07.2021 geltenden Beurteilungsbestimmungen für die Übergangszeit bis zur Schaffung einer hinreichenden normativen Grundlage anwendbar bleiben. Damit stehen der Personalführung alle bisher existierenden Instrumente weiterhin zu Verfügung.