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Anmerkung zu:OLG München 33. Zivilsenat, Beschluss vom 25.09.2023 - 33 Wx 38/23 e
Autor:Julia Roglmeier, LL.M., RA'in, FA'in für Erbrecht und Wirtschaftsmediatorin
Erscheinungsdatum:06.02.2024
Quelle:juris Logo
Normen:§ 133 BGB, § 2084 BGB, § 2065 BGB
Fundstelle:jurisPR-FamR 3/2024 Anm. 1
Herausgeber:Andrea Volpp, RA'in und FA'in für Familienrecht
Franz Linnartz, RA und FA für Erbrecht und Steuerrecht
Zitiervorschlag:Roglmeier, jurisPR-FamR 3/2024 Anm. 1 Zitiervorschlag

Testamentsauslegung und Mindestbedeutungsgehalt einer letztwilligen Verfügung



Leitsätze

1. Zur Auslegung eines privatschriftlichen Testaments, das der Erblasser mehr als 10 Jahre vor seinem Tod errichtet hat und das als Erben denjenigen bestimmt, der den Erblasser „bis zu meinem Tod pflegt und betreut“ und gleichzeitig eine Person nennt, die dies gegenwärtig tut.
2. Ein Testament ist nichtig, wenn der Wortlaut der Verfügung so unbestimmt ist, dass die Auslegung ergebnislos bleiben muss (Anschluss an BayObLG, Beschl. v. 23.05.2001 - 1Z BR 10/01).
3. Auf einen „Mindestbedeutungsgehalt“ der vom Erblasser verwendeten Begriffe kann nur dann abgestellt werden, wenn feststeht, dass Erblasser diese in eben jenem Sinne verwendet hat.



Orientierungssatz zur Anmerkung

Grenzen der Testamentsauslegung bei unbestimmter Formulierung: wer mich „bis zu meinem Tod pflegt und betreut“ unter beispielhafter Benennung, welche Person dies zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung tut.



A.
Problemstellung
Die Entscheidung des OLG München behandelt die Frage, in welchen Grenzen eine Testamentsauslegung nach den §§ 133, 2084 BGB möglich ist, wenn der Wortlaut der Verfügung in zeitlicher und inhaltlicher Hinsicht so unbestimmt ist, dass ein Mindestbedeutungsgehalt nicht erkennbar erscheint.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die verwitwete und kinderlose Erblasserin verstarb im Jahr 2021. Mit privatschriftlichem Testament vom 01.04.2011 hatte sie letztwillig verfügt, dass die Person, „die mich bis zu meinem Tode pflegt und betreut“ das gesamte Vermögen bekommen solle. Weiter heißt es sodann in der letztwilligen Verfügung: „Zurzeit ist es Frau XX (…).“ Nach dem Tod der Erblasserin hatte Frau XX – die Beteiligte zu 1 – einen Erbschein beantragt, der sie als Alleinerbin auswies. Das zuständige Nachlassgericht hatte daraufhin die Erteilung des beantragten Erbscheins angekündigt und einer seitens der Beschwerdeführerin eingelegten Beschwerde nicht abgeholfen.
Das OLG München, dem die Sache zur Entscheidung vorgelegt wurde, hat der Beschwerde stattgegeben, den angefochtenen Beschluss aufgehoben und den Erbscheinsantrag der Beteiligten mit der Begründung zurückgewiesen, das Testament sei sowohl in zeitlicher als auch in inhaltlicher Hinsicht zu unbestimmt, als dass eine Auslegung des letzten Willens der Verstorbenen nicht möglich sei.
Im Testament seien lediglich Kriterien bestimmt worden, die eine Person erfüllen müsse, um Erbe zu werden und erwähnt, dass die Antragstellerin diese Kriterien beispielhaft zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung erfüllt habe. Es sei allerdings nicht feststellbar, welche Voraussetzungen genau erfüllt sein müssten und damit auch nicht ermittelbar, welche Person diese Voraussetzungen zum Zeitpunkt des Erbfalls erfüllen würde. Unklar sei, welche Vorgaben die Erblasserin sowohl in zeitlicher als auch in inhaltlicher Hinsicht im Rahmen ihrer Pflege und Betreuung machen wollte. Zudem sei unklar, ob sie die gewünschte Pflege und Betreuung in zeitlicher Hinsicht bereits ab Testamentserrichtung übernehmen müsse oder ob eine spätere Pflegeübernahme ausreichen würde. Ebenfalls nicht feststellbar sei, ob die Erblasserin bei der Festlegung der Pflegevoraussetzungen davon ausgegangen sei, dass die Leistungen mit oder ohne Unterbrechungen vorgenommen hätten werden müssen und ob nur eine oder auch mehrere pflegende Personen als Erben begünstigt hätten werden sollen. Auf einen Mindestbedeutungsgehalt der verwendeten Begriffe kann nach Auffassung des Gerichts nur dann abgestellt werden, wenn feststeht, dass der Erblasser sie in eben jenem Sinne verwendet hat.


C.
Kontext der Entscheidung
Die Entscheidung des OLG München stellt die Kriterien dar, anhand derer die Testamentsauslegung erfolgen muss. Zunächst ist nach § 133 BGB stets der wirkliche Wille des Erblassers maßgeblich (BGH, Urt. v. 16.07.1997 - IV ZR 356/96 - ZEV 1997, 376; Leipold in: MünchKomm BGB, 9. Aufl. 2022, § 2084 Rn. 1; Czubayko in: Burandt/Rojahn, Erbrecht, 4. Aufl. 2022, § 2084 Rn. 9; Krätzschel in: Krätzschel/Falkner/Döbereiner, Nachlassrecht, 12. Aufl. 2022, § 9 Rn. 10; Fleindl/Kroiß in: Kroiß/Horn, Nomos Kommentar, Erbrecht, 6. Aufl. 2022, § 2084 BGB Rn. 3). Hierbei darf bei einem auslegungsbedürftigen Testamentswortlaut nach den §§ 133, 2084 BGB nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks haften geblieben werden. Stattdessen ist der Wortsinn der verwendeten Ausdrücke zu hinterfragen (BGH, Urt. v. 08.12.1982 - IVa ZR 94/81 - NJW 1983, 672; BGH, Urt. v. 07.10.1992 - IV ZR 160/91 - NJW 1993, 256).
Zu beachten ist zudem der Bestimmtheitsgrundsatz aus § 2065 BGB. Danach darf der Erblasser die Bestimmung des Erben nicht dem Belieben oder einem anderen überlassen (BGH, Urt. v. 18.11.1954 - IV ZR 152/54 - NJW 1955, 100). Dem Ermessen eines Dritten überlassen werden darf lediglich die Bezeichnung, aber nicht die Bestimmung des Erben. Das ist im Übrigen nur dann erfolgreich, wenn die Hinweise im Testament so genau sind, dass jede mit genügender Sachkunde ausgestattete Person den Bedachten bezeichnen kann, ohne dass deren Ermessen auch nur mitbestimmend ist (BayObLG, Beschl. v. 27.11.1990 - BReg 1 a Z 76/88 - FamRZ 1991, 610; OLG München, Beschl. v. 22.05.2013 - 31 Wx 55/13 - ZEV 2013, 617). Die Auslegung einer letztwilligen Verfügung scheitert mithin dann am Bestimmtheitsgrundsatz, wenn sie so unbestimmt ist, dass die Auslegung ergebnislos bleibt (BayObLG, Beschl. v. 23.05.2001 - 1Z BR 10/01 - FamRZ 2002, 200 m.w.N.; Otte in: Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2019, § 2065 Rn. 19b).


D.
Auswirkungen für die Praxis
Die Auslegung letztwilliger Verfügungen gehört zu den Bereichen, die für einen juristischen Berater stets mit äußerst unsicheren Prognosen für den Mandanten und damit den Ausgang des Verfahrens verbunden sind. Schließlich ist jeder Sachverhalt anders, jede richterliche Einschätzung – wenngleich auf objektiven Kriterien und Auslegungsmaßstäben fußend – letztlich doch individuell. Nirgends bewahrheitet sich der Satz „Vor Gericht oder auf hoher See ist man immer in Gottes Hand“ so sehr, wie im Bereich der Testamentsauslegung. Im vorliegenden Fall kam in der Tat erschwerend hinzu, dass keinerlei Zeugen zur Verfügung standen, die hätten belegen können, welche persönlichen Lebensumstände die Erblasserin bei Errichtung des Testaments geprägt hatten. Auch und gerade weil eine weitere Sachverhaltsaufklärung im konkreten Fall nicht möglich war, waren dem Gericht mangels weiterer Ermittlungsansätze schlussendlich die Hände gebunden.
Für die Praxis bleibt daher der Anspruch, Verfügungen von Todes wegen, die von Beraterseite ausgestaltet werden, selbstverständlich so konkret zu formulieren, dass die Hinterbliebenen nach Eintritt des Erbfalls idealerweise gar nicht erst gehalten sind, es auf eine Auslegung der letztwilligen Verfügung ankommen lassen zu müssen.



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