Eine Krankenhausbehandlung liegt auch dann vor, wenn der Patient nicht über eine Nacht stationär behandelt wird, sondern ein intensiver Einsatz der personellen und sächlichen Ressourcen des Krankenhauses erfolgt (z.B. im Schockraum oder einer Stroke Unit).
- A.
Problemstellung
Es ist immer wieder streitig, wann eine stationäre Krankenhausbehandlung vorliegt. Grundsätzlich fordert die Rechtsprechung eine geplante Behandlung über einen Tag und eine Nacht. Erfolgt nur eine kurzzeitige Behandlung, z.B. im Schockraum, hatte das BSG 2021 entschieden, dass dies für eine stationäre Aufnahme nicht ausreicht. Nunmehr hat das BSG auf die Kritik reagiert und seine Rechtsprechung modifiziert.
- B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Ein Mitglied der beklagten Krankenkasse wurde um 16:44 Uhr vom Rettungsdienst mit Verdacht auf Schlaganfall in das Krankenhaus der Klägerin eingeliefert. Dort wurde der Patient auf der Stroke Unit aufgenommen und untersucht, u.a. wurde eine Lysetherapie eingeleitet. Nach einer Stunde wurde der Patient zur Thrombektomie in ein anderes Krankenhaus verlegt.
Die Klägerin rechnete die Behandlung gegenüber der Beklagten ab. Die Beklagte glich die Rechnung aus und leitete ein Prüfverfahren ein. Der Medizinische Dienst (MD) kam zu dem Ergebnis, dass es keinen Behandlungsplan über einen Tag und eine Nacht gegeben habe, es sei eine prästationäre Behandlung gewesen. Die Beklagte rechnete ihren Rückforderungsanspruch gegen andere – unstreitige – Vergütungsansprüche auf.
Das Sozialgericht verurteilte die Beklagte zur Zahlung der vorstationären Pauschale, da die Behandlung nur so abzurechnen sei; im Übrigen wies es die Klage ab.
Die Klägerin legte Berufung ein und begehrte die Zahlung des weiteren Betrages bis zur Höhe der Fallpauschale. Das Landessozialgericht wies die Berufung zurück, da es sich nicht um eine stationäre Behandlung gehandelt habe. Es habe keinen Behandlungsplan gegeben; noch während der Aufnahmeuntersuchung sei die Entscheidung zur Verlegung gefallen.
Auf die Revision der Klägerin hin hat das BSG der Klägerin den vollen Betrag zugesprochen.
Der Patient sei vollstationär behandelt worden, es habe sich nicht nur um eine Aufnahmeuntersuchung gehandelt.
Der Beginn der vollstationären Behandlung setze die vorherige Aufnahme voraus. Dies bedeute die organisatorische Eingliederung in das spezifische Versorgungssystem des Krankenhauses. Dies sei jedenfalls dann der Fall, wenn der Patient nach der Entscheidung des Krankenhausarztes mindestens einen Tag und eine Nacht ununterbrochen im Krankenhaus behandelt werden solle (BSG, Urt. v. 04.03.2004 - B 3 KR 4/03 R - BSGE 92, 223). Maßgeblich sei nicht die tatsächliche Behandlungsdauer, sondern die im Zeitpunkt der Aufnahme prognostizierte Dauer. Diese Aufnahmeentscheidung zeige sich nach außen regelmäßig durch die Einweisung auf eine bestimmte Station, die Zuweisung eines Bettes oder das Erstellen entsprechender Aufnahmeunterlagen. Sie müsse weder ausdrücklich erklärt noch förmlich festgestellt werden – insbesondere bei Notfallentscheidungen.
Grundsätzlich sei die erste Diagnostik nur Teil der Prüfung der Aufnahme; ergebe sich dann, dass der Patient an ein anderes Krankenhaus verwiesen oder ambulant weiterbehandelt werden müsse, sei dies keine stationäre Behandlung. Stelle das Krankenhaus fest, dass die notwendige Behandlung nicht vom eigenen Versorgungsauftrag umfasst sei oder es keine Kapazitäten habe, spreche dies ebenfalls gegen eine Aufnahmeentscheidung. Dies gelte auch bei der Einlieferung durch den Rettungsdienst.
Soweit das BSG 2021 entschieden habe, dass auch dann keine stationäre Behandlung vorliege, wenn die parallel zur Aufnahmediagnostik stattfindende Notfallbehandlung die personellen und sächlichen Ressourcen im Krankenhaus in hohem Maße beanspruche, werde an dieser Rechtsprechung nicht mehr festgehalten.
Für eine konkludente stationäre Aufnahme könne auch eine kurzzeitige Notfallbehandlung im erstangegangenen Krankenhaus bei zeitnaher Verlegung in ein anderes Krankenhaus ausreichen. Eine konkludente stationäre Aufnahme liege vor, wenn der Einsatz der krankenhausspezifischen personellen und sächlichen Ressourcen eine hohe Intensität aufweise. Dabei sei es unerheblich, ob der kurzzeitige, aber intensive Mitteleinsatz auch der Feststellung diene, ob das Krankenhaus in der Lage sei, selbst die kurative Behandlung einzuleiten oder fortzusetzen. Ebenso sei unerheblich, ob einzelne Untersuchungs- und Behandlungsmaßnahmen im EBM-Ä abbildbar seien.
Diese Unterscheidung zwischen ambulanter und (kurzzeitiger) stationärer Notfallbehandlung folge aus der Regelungssystematik des Gesetzes. Der Anspruch des Patienten auf stationäre Behandlung hänge nicht von der Möglichkeit ab, dass das Krankenhaus die bereits begonnene Behandlung alsbald abbrechen und den Versicherten verlegen müsse.
Die Krankenhausbehandlung als ressourcenintensivste Form der Krankenbehandlung setze das Vorhalten dieser Ressourcen voraus. Allerdings müssten diese Ressourcen auch zum Einsatz gelangen oder ihr Einsatz zumindest geplant gewesen sein. Je kürzer die Behandlungsdauer sei, desto mehr müsse sich der durchgeführte oder zumindest geplante Mitteleinsatz entsprechend verdichten.
Eine stationäre Notfallbehandlung erfordere den intensiven Einsatz von sächlichen und personellen Ressourcen, die ambulant nicht in gleicher Weise regelhaft verfügbar seien, was z.B. in einem Schockraum der Fall sei – wenn dort ein multidisziplinäres Team tatsächlich zusammenkomme und die dort vorhandenen besonderen apparativen Mittel in erheblichem Umfang eingesetzt werden.
Auch bei einer (zertifizierten) Schlaganfallstation führe die dort durchgeführte Diagnostik und Behandlung nicht in jedem Fall zur Annahme einer Aufnahmeentscheidung. Der Ort der mit der Diagnostik durchgeführten Behandlung (ob Schockraum, sonstiger Behandlungsraum, Stationszimmer) beinhalte nicht zwingend eine konkludente Aufnahmeentscheidung, er könne aber ein Indiz sein.
Entscheidendes Kriterium für eine konkludente stationäre Aufnahme bleibe die Intensität des Einsatzes der spezifischen Mittel des Krankenhauses.
In aller Regel begründe die Notfallbehandlung auf einer Schlaganfallstation eine stationäre Aufnahme. Dies folge aus der Struktur und Aufgabenstellung dieser Station, die mit einer sonstigen Intensivstation vergleichbar sei.
Diese Einteilung weiche nicht von der Rechtsprechung des 6. Senats des BSG (BSG, Urt. v. 11.09.2019 - B 6 KA 6/18 R) ab, denn in der genannten Entscheidung habe es sich unstreitig um eine ambulante Behandlung in der Notfallambulanz gehandelt.
Für zukünftige Fälle sei zu beachten, dass jedenfalls bei kurzzeitigen Notfallbehandlungen mit Verlegung des Patienten in ein anderes Krankenhaus die Fälligkeit des Vergütungsanspruchs voraussetze, dass aus den übermittelten Daten der intensive Mitteleinsatz deutlich werde. Dies erfordere in der Regel mehr als die bloße Kodierung von OPS und ICD10, solange nicht die kodierten OPS untrennbar mit einem intensiven Mitteleinsatz verbunden seien. Das Krankenhaus müsse der Krankenkasse mitteilen, welcher Behandlungsplan vorgelegen habe, dass er noch hätte umgesetzt werden können und warum er nicht durchgeführt worden sei.
- C.
Kontext der Entscheidung
1. Die Reform der Notfallversorgung ist ein Dauerthema. Ein Gesetzesentwurf aus dem Jahr 2019 ist während der Pandemiezeit nicht weiterverfolgt worden. Aktuell hat die Regierungskommission eine Reform der Notfall- und Akutversorgung in Deutschland vorgeschlagen (
https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/K/Krankenhausreform/ Vierte_Stellungnahme_ Regierungskommission_ Notfall_ILS_und_INZ.pdf, zuletzt abgerufen am 20.02.2024), die unter anderem die Schaffung integrierter Notfallzentren enthält (dazu Pitz, SGb 2023, 717; Rüter, KH 2023, 907).
Solange diese Reform aber nicht umgesetzt ist, bleibt es dabei, dass Krankenhäuser bei Notfallbehandlungen zwischen den Sektoren gefangen bleiben. Denn die Behandlung eines Patienten, der im Krankenhaus erscheint, können sie schon aus haftungsrechtlichen Gründen nicht ablehnen. Eine Abrechnung mit der zuständigen KV als vertragsärztliche Notfallbehandlung wird von dieser oft mit dem Argument abgelehnt, dass der Patient im Rahmen der Notfallpraxen hätte versorgt werden können. Mit der „Schockraum“-Entscheidung vom 18.05.2021 (B 1 KR 11/20 R - BSGE 132, 137) hatte das BSG es für die Krankenhäuser auch faktisch ausgeschlossen, die Behandlung als (vor)stationär abzurechnen (dazu Makoski, jurisPR-MedizinR 9/2021 Anm. 2; Rehborn, GesR 2023, 23; Hommel, KH 2022, 308; Knispel, NZS 2022, 262).
2. § 115a Abs. 1 Nr. 1 SGB V gestattet es dem Krankenhaus, bei Vorliegen einer ärztlichen Verordnung den Patienten ambulant zu untersuchen, um zu prüfen, ob er wirklich der stationären Behandlung bedarf. Der Vertragsarzt darf die Verordnung nur ausstellen, wenn die Anforderungen der Krankenhauseinweisungsrichtlinie des GBA erfüllt sind. Erkennt der Krankenhausarzt, dass diese Anforderungen nicht erfüllt sind, muss er die Untersuchung des Patienten verweigern (vgl. BSG, Urt. v. 17.09.2013 - B 1 KR 21/12 R - BSGE 114, 199). Kann er dies nicht erkennen, hätte der Vertragsarzt dies aber erkennen können, behält das Krankenhaus den Vergütungsanspruch – der Vertragsarzt aber ist haftbar (vgl. BSG, Urt. v. 14.10.2014 - B 1 KR 28/13 R - SozR 4-2500 § 115a Nr 5).
Problematisch ist, dass die Vergütungssätze für die vorstationäre Untersuchung und Behandlung seit 1996 nicht angepasst wurden (
https://www.kgnw.de/download/dl-vs-ns-behandlungen-verguetung.pdf, zuletzt abgerufen am 20.02.2024) und nicht mehr die tatsächlichen Kosten abbilden. Allerdings scheint keine Bereitschaft zu bestehen, eine Änderung zu vereinbaren.
Entsprechend diesen Vorgaben hatte das Sozialgericht dem Krankenhaus nur die Vergütung für die vorstationäre Untersuchung zugesprochen – die jedoch nur 10% der abgerechneten Fallpauschale ausmacht.
Weiterhin offen bleibt das Verhältnis zwischen der Abklärungsuntersuchung und der ambulanten Notfallbehandlung nach § 76 Abs. 1 Satz 2 SGB V (dazu umfassend Knispel, NZS 2022, 262, 264). Tendenziell dürften jetzt eher eine Abklärungsuntersuchung oder sogar eine stationäre Aufnahme anzunehmen sein.
3. Die meisten Landesverträge nach § 112 Abs. 2 Nr. 1 SGB V enthalten Regelungen zur Vergütung der sog. „Abklärungsuntersuchung“, d.h. der Maßnahmen, die zur Klärung der stationären Behandlungsnotwendigkeit erforderlich sind. Wird der Patient stationär aufgenommen, wird diese Abklärungsuntersuchung nicht gesondert vergütet. Anderenfalls erfolgt die Vergütung nach den zu § 115a SGB V vereinbarten Sätzen.
Allerdings hat das LSG Essen mit Urteil vom 07.06.2021 (L 10 KR 776/20) ausdrücklich entschieden, dass der Landesvertrag gerade nicht die hier einschlägige vertragsärztliche Notfallbehandlung umfasse, weil er nur den stationären Bereich erfassen dürfe – und die Notfallbehandlung ambulant sei. Damit bleibt auch die Berufung auf den Landesvertrag versagt. Allerdings hat diese Argumentation eine leicht zirkuläre Richtung, weil die „Abklärungsuntersuchung“ nur aufgrund der Zuordnung zum ambulanten Bereich dem Geltungsbereich des Landesvertrages entzogen wird, diese Zuordnung dann aber als Grund für die Beschränkung des Anwendungsbereichs – trotz des eindeutigen Wortlauts – genommen wird (vgl. auch Knispel, NZS 2022, 262, 264).
4. Das BSG hat nunmehr auf die Kritik an seiner Rechtsprechung reagiert und zumindest für die wirtschaftlich bedeutendsten Fälle, nämlich die Behandlung im Schockraum und in der Schlaganfalleinheit (Stroke Unit), doch eine stationäre Behandlung bejaht (anders noch LSG Berlin-Potsdam, Urt. v. 06.02.2023 - L 1 KR 417/21; so wie hier SG Aurich, Urt. v. 12.12.2023 - S 48 KR 218/18). Dabei hat es darauf abgestellt, dass in diesen Einheiten die besonderen personellen und sächlichen Ressourcen des Krankenhauses in erheblichen Umfang zum Einsatz kommen und dieser Einsatz durch den EBM im Rahmen der Notfallbehandlung nicht abbildbar sei (vgl. schon Hommel, KH 2022, 308, 309).
Offenbleiben aber andere Bereiche wie z.B. Herzinfarktstationen (Chest-Pain Unit, CPU), in denen Patienten bei einem Verdacht auf einen Herzinfarkt für mehrere Stunden zur Überwachung aufgenommen werden; bestätigt sich der Verdacht nicht, werden die Patienten entlassen, anderenfalls erfolgt die weitere stationäre Behandlung. Dieses Monitoring mag extensiv erscheinen; es erfordert aber zum einen die Vorhaltung und den Einsatz entsprechender Überwachungsgeräte und zum anderen jederzeit eingriffsbereites ärztliches und nichtärztliches Personal. Problematisch ist, dass diese Einsatzbereitschaft in den unproblematischen Fällen nicht gesondert dokumentiert wird, sondern sich höchstens durch einen Verweis auf die Zertifizierungsunterlagen darlegen lässt.
5. Zu begrüßen ist, dass das BSG keine ausdrückliche Aufnahmeentscheidung fordert und auch keinen ausformulierten Behandlungsplan. Die Aufnahmeentscheidung zeigt sich regelmäßig konkludent, indem der Patient auf eine Behandlungsstation verlegt oder im System des Krankenhauses die Aufnahme erfasst wird (was z.B. für die Frage der Verpflegung relevant ist); teilweise gibt es auch ausdrückliche Eintragungen in den Behandlungsberichten der Notaufnahme.
Ein Behandlungsplan kann bei Notfallpatienten kaum aufgestellt werden, denn die ersten medizinischen Maßnahmen – Diagnostik und Therapie – dienen erst dazu, diesen Plan zu formulieren. In der Praxis wird man oft auf Standardverfahren (SOP) verweisen müssen.
Verstirbt der Patient im Schockraum trotz intensivmedizinischer Behandlung, wird der Behandlungsplan kaum verneint werden können – ob dann aber die Aufnahmeentscheidung schon erfolgt ist, dürfte stark vom Einzelfall abhängen (vgl. LSG Mainz, Urt. v. 09.07.2020 - L 5 KR 154/19; dazu Knispel, NZS 2022, 306).
Soweit die Gerichte teilweise auch in der Intubation keine konkludente Aufnahmeentscheidung gesehen haben (so LSG Berlin-Potsdam, Urt. v. 22.02.2023 - L 7 KA 70/19 WA), dürfte dies je nach Situation anders zu werten sein. In dem dortigen Fall scheint das Landessozialgericht vor allem angestrebt zu haben, dass die Leistungen im Rahmen der Notfallambulanz gegenüber der KV abrechenbar sein sollten.
- D.
Auswirkungen für die Praxis
Diese Entscheidung schafft mehr Klarheit für die Notfallversorgung. Auch wenn ein Patient nur kurzzeitig, dafür aber intensiv, im Krankenhaus untersucht und behandelt wird, kann es sich um eine stationäre Behandlung handeln, die mit einer Fallpauschale zu vergüten ist.
Die Krankenhäuser müssen aber beachten, dass die Fälligkeit der Rechnung eine Mitteilung an die Krankenkasse voraussetzt, aus der diese erkennen kann, dass hier trotz der kurzen Dauer ein intensiver Mitteleinsatz erfolgte (vergleichbar der stationären Durchführung von Leistungen, die im AOP-Katalog aufgeführt sind).