juris PraxisReporte

Anmerkung zu:BFH 4. Senat, Urteil vom 09.11.2023 - IV R 9/21
Autoren:Philipp Peplowski, LL.M., StB und Dipl.-Finanzwirt (FH),
Thomas Ketteler-Eising, StB und Dipl.-Betriebswirt (FH)
Erscheinungsdatum:25.04.2024
Quelle:juris Logo
Normen:§ 175 AO 1977, § 158 BGB, § 34 EStG, § 16 EStG, § 1 EStG
Fundstelle:jurisPR-MedizinR 4/2024 Anm. 1
Herausgeber:Möller und Partner - Kanzlei für Medizinrecht
Zitiervorschlag:Peplowski/Ketteler-Eising, jurisPR-MedizinR 4/2024 Anm. 1 Zitiervorschlag

Versteuerung von „Earn-Out-Zahlungen“ im Zusammenhang mit der Veräußerung eines Mitunternehmeranteils



Leitsätze

1. Im Fall der Veräußerung eines Mitunternehmeranteils sind neben dem Festkaufpreis zu leistende gewinn- oder umsatzabhängige Kaufpreisbestandteile erst im Zeitpunkt des Zuflusses als nachträgliche Betriebseinnahmen zu versteuern. Sie erhöhen den im Jahr der Veräußerung entstandenen Veräußerungsgewinn nach § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes nicht (Bestätigung der Rechtsprechung).
2. Dies gilt auch für sogenannte Earn-Out-Klauseln, bei denen das Entstehen der sich hieraus ergebenden variablen Kaufpreisbestandteile sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach ungewiss ist.



A.
Problemstellung
Der Erlös aus der Veräußerung von Mitunternehmeranteilen ist grundsätzlich im Zeitpunkt der Veräußerung zu versteuern, gleichgültig, ob er dem Veräußerer in einer Summe oder aufgrund einer Stundungs- oder Ratenzahlungsvereinbarung ganz oder teilweise erst zu einem späteren Zeitpunkt zufließt. Kommt es in solchen Fällen zu einer nachträglichen Änderung des auf den Zeitpunkt der Veräußerung ermittelten Veräußerungsgewinns, ist eine nachträgliche Korrektur der ursprünglichen Steuerfestsetzung gemäß § 175 Abs. 2 AO (rückwirkendes Ereignis) vorzunehmen.
Davon abweichend besteht bei wiederkehrenden Bezügen in Form lebenslanger Renten oder Raten, die über einen Zeitraum von mehr als 10 Jahren gezahlt werden und Versorgungscharakter haben, ein Wahlrecht zur Zuflussbesteuerung.
Eine Ausnahme von diesen beiden Möglichkeiten hat die Rechtsprechung des BFH bisher nur bei gewinn- oder umsatzabhängigen Kaufpreisforderungen zugelassen. Denn in einem solchen Fall liegen nach Auffassung des BFH lediglich aufschiebend bedingte Ansprüche i.S.d. § 158 Abs. 1 BGB vor, da im Zeitpunkt der Veräußerung weder dem Grunde noch der Höhe nach feststeht, ob und in welcher Höhe eine Kaufpreisforderung überhaupt entstanden ist. Es ist dann zwingend eine Versteuerung der Kaufpreisraten im Zuflusszeitpunkt durchzuführen.
Eine Entscheidung des BFH zu der Frage, ob diese Rechtsprechung auch in Fällen gilt, in denen neben einem fixen Kaufpreisanteil sog. „Earn-out-Zahlungen“ vereinbart werden, die im Zeitpunkt der Veräußerung dem Grunde und/oder der Höhe nach noch nicht feststehen, weil sie von bestimmten in den Folgejahren zu erreichender Umsatz- oder Gewinnparameter abhängen, fehlte bislang.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
In dem nun dem BFH zur Entscheidung vorgelegten Fall war bei der Veräußerung eines Kommanditanteils im Jahre 2010 vertraglich neben einem festen Kaufpreisanteil ein variabler, in drei Raten zu zahlender Entgeltanteil vereinbart worden, der in Form einer sog. „Earn-out-Klausel“ auf die Geschäftsjahre 2011, 2012 und 2013 bezogen war. Die tatsächliche Entstehung, wie auch die Höhe des jeweiligen Anspruchs wurde dabei von dem in dem betreffenden Jahr erzielten Rohgewinn abhängig gemacht.
Damit ein Anspruch überhaupt entstand, musste aber eine bestimmte Rohmarge überschritten werden. Wurde der verlangte Betrag überschritten, entstand ein Anspruch dem Grunde nach, er war aber weiterhin der Höhe nach variabel, d.h. er konnte von einem Mindestbetrag bis zu einem vereinbarten Höchstbetrag in Abhängigkeit von dem erzielten Rohgewinn linear ansteigen.
In allen drei Geschäftsjahren kam es zu einer Überschreitung der Mindestmarge, d.h. es wurden in Abhängigkeit von dem erzielten Rohgewinn des betreffenden Jahres nachträgliche Kaufpreiszahlungen in unterschiedlicher Höhe fällig, die bei dem Veräußerer jeweils im Jahr des Zuflusses zunächst antragsgemäß als laufende Einkünfte erfasst wurden.
Im Rahmen einer Betriebsprüfung für die Jahre 2010 bis 2014 vertrat das Finanzamt davon abweichend die Auffassung, dass es sich nicht um laufende Einkünfte des jeweiligen Jahres, sondern um nachträgliche Kaufpreiszahlungen handle, die sämtlich gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO als rückwirkendes Ereignis im Jahr der Veräußerung, also 2010, zu erfassen seien. Das hätte für die Klägerin eine Liquiditätsbelastung bedeutet.
Nachdem sich die Klägerin und spätere Revisionsbeklagte dagegen zunächst erfolglos in einem Rechtsbehelfsverfahren beim Finanzamt gewandt hatte, gab das FG Neustadt (Weinstraße) der Klägerin Recht und entschied mit Urteil vom 30.03.2021 (5 K 2442/17 - EFG 2021, 1199), dass in den Fällen gewinn- oder umsatzabhängiger Kaufpreisforderungen grundsätzlich keine stichtagsbezogene Ermittlung des Veräußerungsgewinns vorzunehmen sei und die nachträglichen variablen Kaufpreiszahlungen in derartigen Fällen demnach erst im Veranlagungszeitraum des Zuflusses der Besteuerung unterliegen.
Die Revision wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen, weil auch nach Auffassung des Finanzgerichts in der Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärt sei, ob derartige Earn-out-Klauseln als gewinn- bzw. umsatzabhängige Kaufpreisabreden einzustufen sind, die erst im Zeitpunkt des Zuflusses zu einer Besteuerung führen oder ob auf Grundlage derartiger Vereinbarungen geleistete Zahlungen bei der stichtagsbezogenen Ermittlung des Veräußerungsgewinns auf den Veräußerungszeitpunkt zurückzubeziehen seien.
Der BFH hat sich der Rechtsauffassung der Vorinstanz angeschlossen.
Zum einen bestätigte der BFH dabei seine bisherige Rechtsauffassung, dass gewinn- oder umsatzabhängige Kaufpreisbestandteile erst im Zeitpunkt des Zuflusses als nachträgliche Betriebseinnahmen zu versteuern seien und demnach den im Jahr der Veräußerung entstandenen Veräußerungsgewinn nach § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG nicht erhöhen.
Zum anderen führte er aus, dass dies auch für sog. Earn-out-Klauseln, bei denen das Entstehen der sich hieraus ergebenden variablen Kaufpreisbestandteile, als aufschiebend bedingte Kaufpreisbestandteile, sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach ungewiss sei, gelte.
Ausdrücklich offengelassen hat der BFH dabei die Frage, ob diese Grundsätze auch bei betragsmäßig bereits festgelegten Zahlungen, die erfolgen, sobald eine Umsatz- oder Gewinngrenze erreicht wird, gelten. Zudem sah es der BFH als entscheidend an, dass das Entstehen der zusätzlichen Kaufpreisforderungen in dem vorliegenden Fall sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach ungewiss war. Somit könne jedenfalls nach der vorliegenden Vertragsgestaltung, soweit die variablen Kaufpreisbestandteile betroffen seien, auch nicht von der Reduzierung eines fest vereinbarten Kaufpreises und damit einer steuerlichen Rückwirkung auf den Veräußerungszeitpunkt ausgegangen werden.


C.
Kontext der Entscheidung
Die Entscheidung des IV. Senats des BFH reiht sich ein in die bestehende Rechtsprechung der Finanzgerichte und des BFH (zuletzt BFH, Urt. v. 19.12.2018 - I R 71/16 - BStBl II 2019, 493) in Bezug auf umsatz- oder gewinnabhängige Kaufpreisforderungen, indem diese Rechtsprechung grundsätzlich auch auf Earn-out-Zahlungen, zumindest bei der in diesem Fall vorliegenden Vertragsgestaltung, ausgeweitet wird.
Sie ist jedoch nach in der Literatur vertretenen Auffassungen bei sog. Earn-out-Zahlungen keineswegs zwingend (vgl. Ketteler-Eising, DStR 2022, 1633). Abgesehen davon umfasst sie erkennbar nur einen kleinen Teil von Earn-out-Vertragsgestaltungen, nämlich solche, bei denen die Earn-out-Zahlungen dem Grunde und der Höhe nach ungewiss sind und bei denen aufgrund der konkreten Vertragsgestaltung auch nicht von einer nachträglichen Reduzierung eines zunächst vereinbarten festen Kaufpreises ausgegangen werden kann.
Während umsatz- und gewinnabhängige wiederkehrende Bezüge wirtschaftlich in der Regel ein fortgesetztes Gewinnbezugsrecht mit Versorgungscharakter darstellen, verlagern Earn-out-Klauseln lediglich die finale Einigung auf einen Kaufpreis, der immer auch eine Erwartung in die Zukunft des Unternehmens darstellt, auf einen späteren Zeitpunkt, indem sie den tatsächlichen Kaufpreis (auch) von der künftigen wirtschaftlichen Entwicklung des Unternehmens innerhalb eines (eng begrenzten) Zeitraums abhängig machen. Die Parteien behalten sich insoweit lediglich vor, wertaufhellende Erkenntnisse über die Ertragskraft eines Unternehmens noch bei der abschließenden Kaufpreisermittlung rückwirkend auf den Veräußerungszeitpunkt berücksichtigen zu können.
Die hier besprochene BFH-Entscheidung hat insbesondere für Verkäufer von Einzelunternehmen und Mitunternehmeranteilen Bedeutung, die auf den Veräußerungsgewinne i.S.d. § 16 EStG steuerliche Begünstigungen geltend machen wollen. Eine Earn-out-Komponente könnte der Gewährung des Freibetrags nach § 16 Abs. 3 EStG oder einer Tarifbegünstigung nach § 34 Abs. 3 EStG („halber“ Steuersatz) entgegenstehen. Dies zumindest dann, wenn der vereinbarte Earn-out als gewinn- und umsatzabhängigen Kaufpreisbestandteil bewertet wird (so auch Horn in: Hermann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 24 EStG Rn. 81 und § 34 EStG Rn. 40).


D.
Auswirkungen für die Praxis
In der steuerlichen Gestaltungsberatung sollten Kaufverträge mit variablen Kaufpreisbestandteilen sich inhaltlich von dem Urteil des BFH vom 09.11.2023 abgrenzen. Zu denken ist dabei z.B. an die Vereinbarung einer auflösenden Bedingung i.S.d. § 158 Abs. 2 BGB anstelle der bisher zumeist verwendeten aufschiebenden Bedingung für vereinbarte Earn-out-Zahlungen.
Dies bedeutet im Ergebnis, dass zunächst ein Gesamtkaufpreis vereinbart werden muss, der aber nachträglich bei Unterschreitung vorab definierter wirtschaftlicher Zielgrößen (z.B. dem EBITDA) in den Folgejahren (nach unten) angepasst werden kann. In dem Zusammenhang sollte eine Umstellung der Berechnungsmethodik des variablen Kaufpreises erfolgen. Konkret sollte eine subtraktive Kürzung des Gesamtkaufpreises bei Nichterreichung von wirtschaftlichen Zielgrößen vorgesehen werden, anstatt einer additiven Kaufpreiserhöhung bei Erreichen von wirtschaftlichen Zielgrößen.
Gleichwohl wird der Käufer nicht bereit sein, den variablen Kaufpreisbestandteil vorab zu bezahlen. Eine „Brücke“ könnte hier die Definierung eines Sicherheitseinbehalts sein. Dieser kann dann der Verrechnung mit einer möglichen künftigen Kaufpreisreduzierung aus der vereinbarten auflösenden Bedingung dienen. In Ergänzung dazu könnte eine Verzinsung des Sicherheitseinbehalts zugunsten der Verkäuferseite vereinbart werden, soweit es zu einer späteren Auszahlung kommt.
Schließlich sollte die vertragliche Wortwahl angepasst werden. Der Begriff „Earn-out“ sollte nach der jüngsten BFH-Entscheidung vermieden werden. Stattdessen sollten Begrifflichkeiten wie z.B. „Kaufpreisanpassung“, „Kaufpreisminderung“ oder „Sicherheitseinbehalt“ vertraglich klarstellen, dass es sich um eine auflösende Bedingung handelt, so dem Grunde nach der Anspruch auf den vollen Gesamtkaufpreis bei Vollzug bereits entsteht.
Zusammengefasst ergibt sich also in der Praxis durch das hier besprochene Urteil eher mehr als weniger Beratungsbedarf.


E.
Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
Nur am Rande, weil dies im vorliegenden Fall nicht entscheidungserheblich war, musste sich der BFH in dem vorliegenden Urteil mit einer Frage befassen, die bei der Planung von Betriebsveräußerungen aber häufig eine Rolle spielt, nämlich die Frage, wie es sich in derartigen Fällen mit einer eventuellen tarifbegünstigten Versteuerung nach § 34 Abs. 3 EStG verhält.
Insofern besteht die bereits vor der Entscheidung des BFH bestehende Unsicherheit, ob die Qualifizierung von umsatz- oder gewinnabhängigen Earn-out-Zahlungen als laufender Ertrag des jeweiligen Zuflussjahres einer begünstigten Versteuerung nach § 34 Abs. 3 EStG entgegensteht, leider auch nach Ergehen des Urteils des BFH vom 09.11.2023 (IV R 9/21) fort.
In der Literatur werden hierzu unterschiedliche Rechtsauffassungen vertreten. Dabei überwiegt die Rechtsauffassung, dass es in einem solchen Fall jedenfalls hinsichtlich der Earn-out-Zahlungen an einer „Zusammenballung“ des Veräußerungsgewinns in einem einzigen Veranlagungszeitraum fehle, so dass der ermäßigte Steuersatz für die später zufließenden Earn-out-Zahlungen nicht zu gewähren sei (so z.B. Mellinghoff in: Kirchhof/Seer, Einkommensteuergesetz, 22. Aufl. 2023, § 34 EStG Rn. 10).
Teilweise wird allerdings sogar die Rechtsauffassung vertreten, dass in derartigen Fällen die Steuervergünstigung nach § 34 Abs. 3 EStG für den gesamten Kaufpreis, also auch für den Teil, der bereits im Zeitpunkt der Veräußerung als Festkaufpreis entstanden ist, mangels Zusammenballung entfallen soll (so auch Müller/Dorn/Schwarz, NWB 2017, 2906).
Demgegenüber vertritt Pohl (in: Lippross/Seibel, Basiskommentar Steuerrecht, § 34 EStG Rn. 13) die Auffassung, dass die Prüfung, ob dem Veräußerungsgewinn ein außerordentlicher Vorgang und eine Zusammenballung von Einnahmen zugrunde liegt, regelmäßig entbehrlich sei, da die Rechtsprechung unter den Begriff der Veräußerungsgewinne nur solche Einkünfte subsumiere, die den Begünstigungszweck des § 34 EStG erfüllten. Demnach könne von einer Zusammenballung von Einkünften auch dann ausgegangen werden, wenn der Aufgabegewinn bei einer Betriebsaufgabe in mehreren Veranlagungszeiträumen anfalle. Auch nach der von Wollweber vertretenen Rechtsauffassung sprechen überwiegende Gründe dafür, dass in diesen Fällen das Erfordernis der „Zusammenballung“ entfällt (Wollweber, GmbH-StB 2021, 353). Zum einen sei im Wortlaut des § 34 EStG das Erfordernis der „Zusammenballung“ nicht unmittelbar angelegt, zum anderen habe der BFH die entsprechenden Zahlungen in seinem Urteil vom 19.12.2018 (I R 71/16 - BStBl II 2019, 493) ausdrücklich als Teil des Veräußerungsentgelts i.S.d. §§ 16, 17 EStG qualifiziert. Bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise kann zudem davon ausgegangen werden, dass nicht nur ein auf den Veräußerungszeitpunkt ermittelter Veräußerungspreis, sondern auch später zufließende Earn-out-Zahlungen eine Renditeerwartung abgelten, die auf viele Jahre angelegt ist und auch den Zeitraum umfasst, der von der Earn-out-Klausel abgedeckt wird.
Welche Auffassung hierzu letztlich der BFH vertreten wird, bleibt daher abzuwarten.



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