juris PraxisReporte

Anmerkung zu:OVG Schleswig 1. Senat, Beschluss vom 02.11.2023 - 1 LB 3/22
Autor:Prof. Dr. Johannes Handschumacher, RA und FA für Bau-und Architektenrecht
Erscheinungsdatum:01.02.2024
Quelle:juris Logo
Normen:§ 35 BBauG, § 113 VwGO, § 34 BBauG
Fundstelle:jurisPR-ÖffBauR 2/2024 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Dr. Johannes Handschumacher, RA und FA für Bau- und Architektenrecht
Zitiervorschlag:Handschumacher, jurisPR-ÖffBauR 2/2024 Anm. 1 Zitiervorschlag

Abgrenzung Innenbereich/Außenbereich: trennende Wirkung einer Straße



Orientierungssätze

1. Das Eigentum oder ein vergleichbares Recht ist nicht Voraussetzung für die Beantragung und die Erteilung einer Baugenehmigung oder eines Bauvorbescheids.
2. Im Baugenehmigungsverfahren werden grundsätzlich keine privatrechtlichen Rechtspositionen überprüft und privatrechtliche Positionen berechtigen oder verpflichten die Bauaufsichtsbehörde in der Regel nicht, die bauaufsichtliche Zulassung wegen solcher privaten Rechte zu versagen oder auch nur einzuschränken.
3. Bei unterschiedlichen Nutzungen diesseits und jenseits der Straße endet die prägende Wirkung jeweils an der Straße. Ein - ausnahmsweise mögliches - „Überspringen“ des Bebauungszusammenhangs auf die andere Straßenseite erfordert besondere Anknüpfungspunkte, die es rechtfertigen, die dort gelegenen Flächen in den Bebauungszusammenhang einzubeziehen, weil sie am „Eindruck der Geschlossenheit“ teilnehmen.
4. Für die Bestimmung der näheren Umgebung i.S.d. § 34 Abs. 1 BauGB kommt es auf die Umgebung zum einen insoweit an, als sich die Ausführung des Vorhabens auf sie auswirken kann und zum anderen insoweit, als die Umgebung ihrerseits den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägt.
5. Der Grenzverlauf der näheren Umgebung ist nicht davon abhängig, dass die unterschiedliche Bebauung durch eine künstliche oder natürliche Trennlinie (z.B. eine Straße) entkoppelt ist. Eine solche Linie hat bei einer beidseitig andersartigen Siedlungsstruktur nicht stets bereits eine trennende Funktion; umgekehrt führt ihr Fehlen nicht dazu, dass benachbarte Bebauungen stets als miteinander verzahnt anzusehen sind und insgesamt die nähere Umgebung ausmachen.



A.
Problemstellung
Die Abgrenzung zwischen unbeplantem Innenbereich gemäß § 34 BauGB und dem Außenbereich gemäß § 35 BauGB ist eine rechtliche Festlegung, die für den betroffenen Grundstückseigentümer von enormer wirtschaftlicher Bedeutung ist, weil die Lage eines Grundstücks im Außenbereich quasi einem Bebauungsverbot gleichkommt. Es gibt zahlreiche Kriterien, die für die Abgrenzung von Bedeutung sind, z.B. welche Wirkung einer Straße zukommt, also ob sie eine trennende Wirkung in dem Sinne hat, dass die Bebauung jenseits der Straße bei der Beurteilung der Ortsteileigenschaft außer Betracht zu bleiben hat, mithin Außenbereich ist, wenn die ggf. dort vorhandene Bebauung für sich keine Ortsteileigenschaft aufweist. Eine in dieser Hinsicht typische Fallkonstellation lag auch der hier besprochenen Entscheidung des OVG Schleswig zugrunde.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Kläger begehrten die Erteilung eines positiven Bauvorbescheids in Bezug auf die planungsrechtliche Zulässigkeit der Errichtung eines Einfamilienhauses im Stadtgebiet der Beklagten.
Das klägerische Grundstück ist mit einem Einfamilienhaus mit Einliegerwohnung, einem ursprünglich als Tierarztpraxis genehmigten Anbau sowie einem ehemals als Pferdestall genutzten Gebäude bebaut.
Die Straße Am B. zweigte in westliche Richtung von der Straße F. Weg ab. An ihrer südlichen Seite befinden sich fünf Wohngebäude, von denen zwei Gebäude offensichtlich zusätzlich gewerblich genutzt wurden. Zu letzteren zählt die unmittelbar an der Einmündung in den F. Weg befindliche Liegenschaft, die aber nur von der Straße Am B. zu befahren ist. Die Nordseite der Straße ist mit einer Baumreihe bepflanzt, an die sich weiter westlich eine einzelne landwirtschaftliche Hofstelle anschließt; im Übrigen befinden sich nördlich der Straße Am B. Ackerflächen. Ein Bebauungsplan existiert für diesen Bereich nicht.
Gegenüber der Einmündung der Straße Am B. geht vom F. Weg die G. Feldstraße in Richtung Osten ab. Diese ist beidseitig mit Wohngebäuden bebaut. Der F. Weg ist von diesem Kreuzungsbereich ausgehend auf seiner östlichen Seite in beide Richtungen überwiegend mit Wohnhäusern dicht bebaut. Auf seiner westlichen Seite findet ab diesem Kreuzungsbereich zunächst ausschließlich landwirtschaftliche Nutzung auf Acker- bzw. Grünflächen statt. Erst ca. 120 m nördlich der Kreuzung befinden sich Unterkünfte für Asylsuchende und ein Blockheizkraftwerk. Südlich der Kreuzung beginnt die erste Bebauung westlich des F. Weges in einer Entfernung von mehr als 200 m auf dem Grundstück F. Weg 103.
Unter dem 23.05.2019 beantragten die Kläger die Erteilung eines Bauvorbescheids, wobei sie auf die im Jahr 1994 durch ihre Eltern bereits gestellte Bauvoranfrage für die Errichtung eines eingeschossigen, unterkellerten Einfamilienhauses bei gleichzeitigem Abbruch des Pferdestalls Bezug nahmen. Diese Voranfrage war mit Bauvorbescheid der Beklagten vom 23.01.1995 positiv beschieden worden.
Mit Bescheid vom 23.08.2019 lehnte die Beklagte die Erteilung des begehrten Bauvorbescheids ab. Zur Begründung führte sie aus, das Grundstück liege weder im Geltungsbereich eines rechtsverbindlichen Bebauungsplans noch innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils, sondern im Außenbereich, so dass eine Beurteilung auf der Grundlage des § 35 BauGB zu erfolgen habe.
Den dagegen am 06.09.2019 eingelegten Widerspruch der Kläger wies die Beklagte zunächst mit einem an den Kläger zu 1) gerichteten Widerspruchsbescheid vom 13.12.2019 zurück.
Beide Kläger haben am 11.01.2020 Klage erhoben. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung haben die Kläger ihr Hauptbegehren dahin gehend beschränkt, dass sich ihre Voranfrage allein auf die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens beziehen solle.
Das Verwaltungsgericht hat daraufhin die Beklagte verpflichtet, den Klägern den begehrten positiven Bauvorbescheid über die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit für die Errichtung eines Einfamilienhauses auf dem Grundstück Am B. 3 in Norderstedt anstelle des vorhandenen Pferdestalles zu erteilen. Die Klage sei zulässig. Insbesondere bestünden keine Bedenken aufgrund des nach Klageerhebung erfolgten Eigentümerwechsels in Bezug auf das streitgegenständliche Grundstück.
Die Klage sei auch begründet. Der angefochtene negative Bauvorbescheid in Gestalt der Widerspruchsbescheide sei rechtswidrig. Der positiven Bescheidung stünden keine bauplanungsrechtlichen Vorgaben entgegen. Das zur Bebauung vorgesehene Vorhabengrundstück liege nicht im Geltungsbereich eines qualifizierten Bebauungsplans, so dass es entscheidend auf die weitere negative Abgrenzung ankomme, ob die Fläche, deren bauliche Nutzung begehrt werde, innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils i.S.v. § 34 Abs. 1 BauGB liege. Dies sei der Fall. Insbesondere komme dem F. Weg unter Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten keine trennende Wirkung zu. Es sei ein Bebauungszusammenhang zwischen der Bebauung südlich der Straße Am B. sowie der Bebauung östlich des F. Weges und beidseitig der G. Feldstraße gegeben. Das somit nach § 34 Abs. 1 BauGB zu beurteilende Vorhaben füge sich auch hinsichtlich der in dieser Vorschrift genannten Kriterien (Art und Maß der baulichen Nutzung, Bauweise und Grundstücksfläche, die überbaut werden soll), in die nähere Umgebung ein.
Die hiergegen eingelegte Berufung hat das OVG Schleswig nach Zulassung zurückgewiesen. Die Kläger haben einen Anspruch auf die Erteilung des von Ihnen zuletzt begehrten Bauvorbescheids gemäß § 66 Sätze 1 und 3 LBO 2016 i.V.m. § 73 Abs. 1 Satz 1 LBO 2016 i.V.m. § 87 Abs. 1 Satz 1 LBO 2021; die Ablehnung des Bauvorbescheids in der zuletzt begehrten Form sei rechtswidrig, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
Maßgeblicher Zeitpunkt für das Bestehen des Anspruchs sei die Sach- und Rechtslage in der mündlichen Verhandlung der letzten Tatsacheninstanz (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.08.1992 - 4 C 54/89 Rn. 8; BVerwG, Urt. v. 24.10.1980 - 4 C 3/78 Rn. 23).
Zutreffend habe das Verwaltungsgericht in Bezug auf die vorgenannte Anspruchsgrundlage ausgeführt, dass ein positiver Bauvorbescheid zu einzelnen Fragen eines Bauvorhabens zu erteilen sei, wenn dem Vorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind; dies sei der Fall, da der Erteilung des begehrten Bauvorbescheids – insoweit beschränkt auf seine bauplanungsrechtliche Zulässigkeit – solcherlei Vorgaben nicht entgegenstünden.
Der Senat zitiert dann zunächst die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zu den allgemein bekannten Kriterien zur Beurteilung von Baulücken.
Hiervon sei – so zutreffend das Verwaltungsgericht – die Frage zu trennen, inwieweit der Bebauungszusammenhang von Flächen unterbrochen werde, die wegen ihrer natürlichen Beschaffenheit oder wegen ihrer besonderen Zweckbestimmung (Sportplätze, Erholungsflächen, Straßen) einer Bebauung entzogen seien. Grundsätzlich unterbrächen solche Flächen den Bebauungszusammenhang nicht, insbesondere dann nicht, wenn sie innerhalb des Ortsteils gelegen seien und in städtebaulich funktionalem Zusammenhang mit der umgebenden Bebauung stünden (vgl. Söfker in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 138. Erg.-Lfg. Mai 2020, § 34 Rn. 24).
Die Frage, ob Straßen eine den Bebauungszusammenhang herstellende oder trennende Funktion zwischen Innen- und Außenbereich haben, könne nur nach den Umständen des Einzelfalles beurteilt werden. Straßen, die ausschließlich bzw. nahezu ausschließlich einseitig bebaut seien, komme nach der Rechtsprechung in der Regel eine trennende Wirkung zwischen Innen- und Außenbereich zu (BVerwG, Beschl. v. 16.02.1988 - 4 B 19/88 Rn. 3).
Ergänzend sei – so der Senat – auch relevant, dass die trennende Wirkung nicht allein nach dem optischen Eindruck zu beantworten sei, sofern die Bebauung diesseits und jenseits der Straße jeweils unterschiedliche Nutzungen aufweise. Dann nämlich gehe es um die Frage, ob eine Bebauung auf der einen Straßenseite ihrer Art nach die Bebauung auf der anderen Straßenseite prägt. Bei unterschiedlichen Nutzungen ende die prägende Wirkung jeweils an der Straße. Ein – ausnahmsweise mögliches – „Überspringen“ des Bebauungszusammenhangs auf die andere Straßenseite erfordere besondere Anknüpfungspunkte, die es rechtfertigten, die dort gelegenen Flächen in den Bebauungszusammenhang einzubeziehen, weil sie am „Eindruck der Geschlossenheit“ teilnähmen (OVG Lüneburg, Beschl. v. 16.12.2009 - 1 LA 60/09 Rn. 6 m.w.N.; vgl. auch: OVG Bautzen, Beschl. v. 16.06.2011 - 1 A 630/09 Rn. 10 m.w.N.). Der von einer Straße ausgehende Verkehrslärm sei aus sich heraus dabei kein geeignetes Kriterium zur Bestimmung der Grenzen des Bebauungszusammenhangs (BVerwG, Urt. v. 12.12.1990 - 4 C 40/87 Rn. 24, 32).
Nach diesen Maßstäben und unter Würdigung der in das Verfahren eingeführten Lagepläne einschließlich der im Internet zugänglichen Luftbildaufnahmen sowie des vom Kläger vorgelegten Bildmaterials und der im Rahmen des Erörterungstermins des Berichterstatters gefertigten Lichtbilder, sei der Senat davon überzeugt, dass das Vorhabengrundstück dem Innenbereich zugehörig ist. Die bestehende Bebauung südlich der Straße Am B. bis einschließlich der Hauptbebauung auf dem Grundstück Am B. 7 nehme nach Überzeugung des Senats jedenfalls an der Bebauung östlich des F. Weges und südlich der G. Feldstraße teil.
Zunächst sei eine unterschiedliche Art der baulichen Nutzung im fraglichen Bereich westlich sowie östlich des F. Wegs, die eine trennende Wirkung der Straße begründen könne, nicht gegeben. Der Umstand, dass unter Berücksichtigung von Eintragungen im Internet in der Liegenschaft F. Weg 129 offenbar auch eine gewerbliche Nutzung erfolge, genüge nicht. Die Art der Nutzung sei im hier relevanten Bereich auf beiden Seiten des F. Weges im Wesentlichen und deutlich überwiegend gleich, nämlich eine Wohnnutzung.
Darüber hinaus stehe die auf der südlichen Seite der Straße Am B. befindliche Bebauung in einer organischen Beziehung mit der Bebauung auf der südlichen Seite der G. Feldstraße, die an der Ecke G. Feldstraße/F. Weg auf der entsprechenden Straßenseite beginne und sich Richtung Osten bis zur Abzweigung der Straße Achternfelde fortsetze. In diesen jeweils südlich der beiden Straßen Am B. und G. Feldstraße liegenden Bereichen finde sich eine zu den jeweiligen Straßen ausgerichtete Bebauung in offener Bauweise. Eine – abgrenzende – Uniformität von Nutzung bzw. Baukörper an einer der beiden Straßen, die ggf. jeweils eine klare Abgrenzung zu einer anderen Bebauungsstruktur an der jeweils anderen Straße begründen könnte, sei nicht erkennbar. Eine trennende Wirkung des F. Weges in diesem Bereich sei auch nicht aufgrund wesentlicher Unterschiede in der Bebauungsdichte anzunehmen. Dass die Bebauung südlich der G. Feldstraße gegenüber der Bebauung Am B. ein derart höheres Maß an Bebauungsdichte aufweise, dass der Eindruck der Zusammengehörigkeit entfalle, sei anhand des vorhandenen Bildmaterials nicht erkennbar. Vielmehr sei insbesondere unter Berücksichtigung der in der mündlichen Verhandlung erörterten Luftbilder deutlich erkennbar, dass die Bebauung in den jeweilig beschriebenen Straßenbereichen eine langgezogene „Kette“ bildete, die sich über die Straße F. Weg fortsetze. Die jeweiligen Teile dieser Kette knüpften insofern aneinander an. Auch die vorhandene Bebauung nördlich der G. Feldstraße bzw. die nicht vorhandene Bebauung nördlich der Straße Am B. stehen dem hier angenommenen Bebauungszusammenhang südlich der beiden Straßen nicht entgegen. Zwar habe die Beklagte insoweit zu Recht angemerkt, dass sich nördlich der Straße Am B. entlang des F. Weges keine Bebauung finde, die an einem Bebauungszusammenhang mit der Bebauung nördlich der G. Feldstraße teilnehmen könne. Vielmehr befänden sich in diesem Bereich zunächst nur landwirtschaftlich genutzte Flächen. Auf das Vorhabengrundstück habe dies jedoch keine Auswirkungen, welches – wie ausgeführt – an dem Bebauungszusammenhang mit der Bebauung auf der südlichen Seite der G. Feldstraße teilnehme.
Dieser bestehende Bebauungszusammenhang südlich der beiden Straßen Am B. und G. Feldstraße werde durch den F. Weg nicht unterbrochen. Die an der fraglichen Stelle bloß zweispurige Straße sei nicht in der Lage, die beschriebene kettenartige Wirkung der Bebauung zu unterbrechen bzw. aufzuteilen. Dies gelte auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass sich nur auf seiner östlichen Seite ein Fußgänger- sowie Fahrradweg und auf seiner westlichen Seite lediglich ein sehr schmaler Fußweg befänden. Die Straße weise an der hier relevanten Stelle unter Berücksichtigung der mittels einer Google Maps-Funktion vorgenommenen Messungen selbst unter Einbeziehung des genannten Fuß- sowie Fahrradweges nicht die von der Beklagten angenommene Breite (18,80 m) auf. Vielmehr ergebe sich aus den entsprechenden Messungen, dass die Straßenfläche ungefähr 7,40 m breit sei. In Bezug auf die für Fußgänger und Fahrradfahrer vorgesehenen Flächen ergebe sich eine Gesamtbreite von ca. 5,40 m. Die Annahme, dass dem F. Weg an dieser Stelle eine trennende Wirkung zukäme und insofern die südlich an der Straße Am B. gelegene Bebauung einen Siedlungssplitter im Außenbereich darstelle, bedeutete eine künstliche Aufspaltung des klar erkennbaren Bauzusammenhangs.
Auch die von der Beklagten vorgetragene deutliche Verkehrsbelastung des F. Weges in dem betroffenen Bereich ändere unter Berücksichtigung der dargelegten Maßstäbe an der vorstehenden Einschätzung nichts. Denn nach der Rechtsprechung des BVerwG gehe es bei der Grenzziehung zwischen Innen- und Außenbereich darum, inwieweit ein Grundstück zur Bebauung anstehe und sich aus dem tatsächlich Vorhandenen ein hinreichend verlässlicher Maßstab für die Zulassung weiterer Bebauung nach Art und Maß der baulichen Nutzung, Bauweise und überbaubarer Grundstücksfläche gewinnen lasse. Die hierfür erforderliche wertende und bewertende Betrachtung der konkreten tatsächlichen Verhältnisse könne mithin nach dem Sachzusammenhang, in den sie eingebettet seien, nur an äußerlich erkennbare, d.h. mit dem Auge wahrnehmbare Gegebenheiten der vorhandenen Bebauung und der übrigen Geländeverhältnisse anknüpfen (BVerwG, Urt. v. 12.12.1990 - 4 C 40/87 Rn. 24). Die Verkehrsbelastung, die zudem naturgemäß schwankend sei, stehe hier jedenfalls nicht in diesem Sachzusammenhang. Daran ändere auch der Umstand nichts, dass sich auf der Nordseite des Kreuzungsbereichs eine Bedarfsampel befinde, die Fußgängern ein gefahrloses Überqueren des F. Weges ermögliche.
Ebenso wenig komme es auf den konkreten Ausbauzustand der Straßen an. Maßgebliches Bezugskriterium sei die dort vorhandene Bebauung, die an die jeweiligen Straßen südlich angrenzt. Auf diese habe der unterschiedliche Ausbauzustand der jeweiligen Straße keinen Einfluss. Die Straßen seien insofern nicht Teil des relevanten Bebauungszusammenhangs.


C.
Kontext der Entscheidung
Wie der Kollege Tysper unlängst in seinem Beitrag für die Januar-Ausgabe dieses PraxisReports schrieb, handelt es sich bei der Abgrenzung von Innen- zu Außenbereich um einen „Klassiker des öffentlichen Bauplanungsrechts“ (Tysper, jurisPR-ÖffBauR 1/2024 Anm. 2). Insoweit gibt es eine Fülle von Rechtsprechung, auf die bei der Rechtsfindung zurückgegriffen werden kann und muss. Letztlich sind aber immer – und so auch durch den Senat des OVG Schleswig – im ganz konkreten Einzelfall die besonderen örtlichen Verhältnisse in den Blick zu nehmen. Die vorliegende Entscheidung ist in dieser Hinsicht ein bemerkenswertes Beispiel auch dafür, wie sogar in der zweiten Instanz sich der Senat in die zu beurteilenden örtlichen Verhältnisse hineindenkt und Punkt für Punkt die entscheidenden Kriterien abarbeitet. Anhand dieser Kriterien ist es in der Regel möglich, relativ rechtssicher beurteilen zu können, ob in der konkreten Situation von einem Bebauungszusammenhang, mithin einem Innenbereich auszugehen ist, in den das fragliche Grundstück eingebettet ist, oder ob z.B. einer Straße oder sonstigen topographischen Verhältnissen eine trennende Wirkung zukommt.
Das OVG Bautzen hat in seiner Entscheidung vom 16.06.2011 unter Verweis auf Entscheidung des BVerwG vom 28.08.2003 die Problematik griffig wie folgt auf den Punkt gebracht. Die Grenzen der näheren Umgebung i.S.d. § 34 Abs. 1 BauGB ließen sich nicht schematisch festlegen, sondern seien nach der tatsächlichen städtebaulichen Situation zu bestimmen, in die das Baugrundstück eingebettet sei. Diese könne so beschaffen sein, dass die Grenze zwischen näherer und fernerer Umgebung dort zu ziehen sei, wo zwei jeweils einheitlich geprägte Bebauungskomplexe mit voneinander verschiedenen Bau- und Nutzungsstrukturen aneinanderstoßen. Der Grenzverlauf der näheren Umgebung sei nicht davon abhängig, dass die unterschiedliche Bebauung durch eine künstliche oder natürliche Trennlinie (Straße, Schienenstrang, Gewässerlauf, Geländekante etc.) entkoppelt ist. Eine solche Linie habe bei einer beidseitig andersartigen Siedlungsstruktur nicht stets eine trennende Funktion; umgekehrt führe ihr Fehlen nicht dazu, dass benachbarte Bebauungen stets als miteinander verzahnt anzusehen seien und insgesamt die nähere Umgebung ausmachten (OVG Bautzen, Beschl. v. 16.06.2011 - 1 A 630/09 Rn. 10; BVerwG, Beschl. v. 28.08.2003 - 4 B 74/03). Was sind also die entscheidenden Kriterien, die auch im vorliegenden Beschluss den Ausschlag für den Bebauungszusammenhang gegeben haben?
1. Zuvorderst ist bei der Frage, ob von einer trennenden Wirkung anzugehend ist, darauf abzustellen, ob es sich um „äußerlich wahrnehmbare Verhältnisse“ handelt, also ob optisch mit dem Auge wahrnehmbare Umstände der Bebauung oder der sonstigen Geländeverhältnisse vorliegen, die eine trennende Wirkung vermitteln. Das sind u.a. topografische Verhältnisse wie etwa Geländehindernisse, Erhebungen oder Einschnitte wie Dämme, Böschungen, Gräben, Flüsse, Geländekanten und dergleichen. Auch Straßen oder Schienenstränge können natürlich eine trennende Funktion zwischen Innen- und Außenbereich haben, weil sie – wie ggf. auch andere Flächen – der Bebauung entzogen sind (BVerwG, Urt. v. 12.12.1990 - 4 C 40/87 Rn. 24; BVerwG, Beschl. v. 01.10.2008 - 4 B 53/08 Rn. 4). Nicht optisch wahrnehmbare Umstände haben also von vorneherein bei der Beurteilung außer Betracht zu bleiben, wie z.B. Verkehrsverhältnisse. Diese spielen ggf. nur dann eine Rolle, wenn es um die Breite einer Straße geht (vgl. unten unter Ziff. 4.).
2. Einseitig oder nahezu einseitig bebaute Straßen haben fast immer eine trennende Wirkung. Ob man von einer „Regelvermutung“ ausgehen kann, mag dahinstehen (vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 17.11.1987 - 3 S 1645/87; BVerwG, Beschl. v. 16.02.1988 - 4 B 19/88; OVG Schleswig; Beschl. v. 16.12.2009 - LA 60/09 Rn. 6; bejahend OVG Münster, Beschl. v. 23.12.2022 - 7 A 2500/21 Rn. 8). Selbst wenn man diese „Regelvermutung“ unterstellt, ist die Berücksichtigung der konkreten örtlichen Gegebenheiten für die Einschätzung einer trennenden Wirkung einseitig bebauter Straßen als Abgrenzung zwischen Innen- und Außenbereich aber keineswegs überflüssig. Dies ist Konsens in der Rechtsprechung (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 23.12.2022 - 7 A 2500/21 Rn. 8; BVerwG, Beschl. v. 16.02.1988 - 4 B 19/88; OVG Schleswig, Beschl. v. 16.12.2009 - 1 LA 60/09). Jedenfalls ist die Frage einer trennenden oder verbindenden Wirkung einer Straße nicht allein nach dem optischen Eindruck zu beantworten, auch wenn die Bebauung diesseits und jenseits der Straße jeweils unterschiedliche Nutzungen aufweist. Für eine verbindende Wirkung muss die Bebauung der einen Straßenseite die Bebauung auf der anderen Straßenseite aber „prägen“, was bei einer einseitigen Bebauung von vornherein ausscheidet. Ein – ausnahmsweise mögliches – „Überspringen“ des Bebauungszusammenhangs auf die andere Straßenseite erfordert also besondere Anknüpfungspunkte, die es rechtfertigen, die jenseits gelegenen Flächen in den Bebauungszusammenhang einzubeziehen, so dass diese am „Eindruck der Geschlossenheit“ teilnimmt (vgl. BVerwG, Beschl. v. 10.03.1994 - 4 B 50/94 m.w.N.). Zu vernachlässigen ist dabei eine teilweise unterschiedliche Nutzung, wenn eine Nutzungsart, z.B. wie im vorliegenden Fall eine Wohnnutzung, dominant ist. Bei eindeutig unterschiedlichen Nutzungen endet die prägende Wirkung dann jeweils an der Straße und überspringt diese nicht.
3. Ein weiteres Kriterium ist die Bebauungsdichte bzw. Bebauungsstruktur, diesseits und jenseits der Straße. Von einer trennenden Wirkung ist dann auszugehen, wenn die Bebauung auf einer Straßenseite eine „Uniformität“ aufweist, die so auf der anderen Straßenseite nicht vorhanden ist. Eine wesentlich unterschiedliche Bebauungsdichte oder Ausrichtung der Baukörper kann dann eher für eine trennende Wirkung der Straße sprechen.
4. Von Bedeutung ist natürlich auch die Breite einer Straße (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 24.04.2018 - 7 A 1127/17; VGH München, Urt. v. 02.05.2017 - 1 B 15.1575 Rn. 20, 22; VG München, Urt. v. 16.05.2022 - M 8 K 21.3496 Rn. 33). Einer mehrspurigen Straße kommt nachvollziehbar eine ganz andere Wirkung zu als einem schmalen Weg, insbesondere wenn eine problemlose Überquerung durch Fußgänger möglich ist. Auch lediglich für Fußgänger und Fahrradverkehr vorgesehene Straßenflächen vermindern im Hinblick auf die Breite die trennende Wirkung einer Straße.
5. Zusammengefasst lässt sich also festhalten, dass eine Straße eher eine trennende Wirkung hat. Dies insbesondere, wenn sie nur einseitig bebaut ist, diesseits und jenseits der Straße eine unterschiedliche Nutzung bzw. eine andere Bebauungsstruktur dominiert. Je breiter die Straße ist, umso mehr spricht dies für eine trennende Wirkung. Ist die Straße schmaler, liegen diesseits und jenseits der Straße ähnliche Nutzungen und/oder Bebauungsstrukturen vor und wird die jenseits gelegene Umgebungsbebauung durch die gegenüberliegende Bebauung geprägt, so spricht dies eher gegen die trennende Wirkung einer Straße.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Die praktischen Konsequenzen der als gefestigt anzusehenden Rechtsprechung liegen auf der Hand. Kein potenzieller Bauherr sollte sich der Illusion hingeben, dass ein Bebauungszusammenhang eine Straße überspringt, wenn diesseits der Straße selbst kein Bebauungszusammenhang vorliegt bzw. dieser nicht deutlich durch die jenseitige Bebauung geprägt ist. Jede in dieser Hinsicht bemühte Argumentation ist eher ein Indiz dafür, dass eine trennende Wirkung angenommen werden muss, so dass jenseits einer Straße gelegene Grundstücke eher dem Außenbereich zuzurechnen sind, wenn dort nicht selbst ein Bebauungszusammenhang besteht, also ggf. nur eine Splittersiedlung oder offenes Gelände vorherrscht. Ein objektiver und neutraler Blick auf die Grundstückssituation vermeidet also unnötige Fehlvorstellungen. Die Frage, ob Innen- und Außenbereich vorliegt, sollte jedenfalls bei begründeten Zweifeln und bei kritischer Betrachtung vorab durch einen Bauvorbescheid, wie dies die Kläger auch im vorliegenden Fall beantragt hatten, abgeklärt werden. Hierauf ist bei der anwaltlichen Beratung immer hinzuweisen. Dies spart Zeit, Kosten und Nerven und bringt zeitnah Rechtssicherheit über die wirtschaftlich entscheidende Frage, ob das potenzielle Baugrundstück im Innen- und Außenbereich gelegen ist und es in dieser Hinsicht auch Bestandsschutz für die Geltungsdauer des Bauvorbescheids genießt.



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