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Anmerkung zu:OLG Brandenburg 10. Zivilsenat, Urteil vom 28.09.2023 - 10 U 21/23
Autor:Dr. Nikklas-Jens Biller-Bomhardt, Richter
Erscheinungsdatum:05.03.2024
Quelle:juris Logo
Normen:§ 133 BGB, § 631 BGB, § 633 BGB, § 157 BGB, § 311 BGB, § 280 BGB, § 278 BGB, § 650c BGB, § 650b BGB, § 389 BGB, § 313 BGB
Fundstelle:jurisPR-PrivBauR 3/2024 Anm. 1
Herausgeber:Dr. Bernd Siebert, RA und FA für Bau- und Architektenrecht
Zitiervorschlag:Biller-Bomhardt, jurisPR-PrivBauR 3/2024 Anm. 1 Zitiervorschlag

Kein Mangel durch Verwendung anderer - nicht vereinbarter - Baumaterialen bei Ungeeignetheit des ursprünglich vereinbarten Baumaterials



Orientierungssätze zur Anmerkung

1. Eine Vertragsauslegung nach den §§ 133, 157 BGB kann ergeben, dass ein im angenommenen Angebot aufgeführtes Baumaterial nicht zur Verwendung kommen soll, wenn im Werkvertrag - wie regelmäßig - der geschuldete Erfolg im Vordergrund steht und nicht die Verwendung eines für den Erfolg ungeeigneten Materials.
2. Es kann einen Anspruch aus den §§ 311 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB aus fehlerhafter Beratung zum Vorteil des späteren Auftraggebers begründen, wenn der Auftragnehmer vor Vertragsschluss berät und hierbei ein ungeeignetes (teures) Baumaterial empfiehlt.
3. Ein Verstoß gegen die allgemein anerkannten Regeln der Technik begründet keinen Mangel, wenn der Auftragnehmer darlegen und beweisen kann, dass sich der Verstoß nicht nachteilig auf das Werk auswirkt und Gebrauchsnachteile nicht vorliegen und auch nicht zu erwarten sind.
4. Irren Auftragnehmer und Auftraggeber bei Abschluss des Vertrags über die Geeignetheit eines Baumaterials, kann dies eine Anwendung von § 313 Abs. 2 BGB begründen; ergibt sich sodann, dass das geeignete Baumaterial (kalkulatorisch) günstiger ist, kann dies eine Anpassung des Werklohns zur Folge haben.



A.
Problemstellung
Das OLG Brandenburg beschäftigt sich mit der Frage, was passiert, wenn sich die Parteien vertraglich auf die Verwendung eines bestimmten Baumaterials einigen, sich sodann aber herausstellt, dass dieses Baumaterial für die Herstellung des geschuldeten Werks technisch ungeeignet ist. Hierbei geht das Oberlandesgericht auf die Ansprüche bezüglich des Werklohns und ggf. Schadensersatz wegen fehlerhafter Information über die Geeignetheit eines Baumaterials ein.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Bei Abschluss des Vertrags habe eine Mitarbeiterin der Klägerin (die Auftragnehmerin), die Werklohn verlangte, die Beklagten dahingehend beraten, dass ein bestimmtes Baumaterial (Injektionsmittel 1) für das geschuldete Werk (Herstellung einer Horizontalsperre zur Abdichtung eines Einfamilienhauses) geeignet sei. Es kam zum Vertragsschluss, wobei der Vertrag ausdrücklich das Injektionsmittel 1 beinhaltete. Sodann fiel auf, dass das angebotene Injektionsmittel 1 nicht geeignet war, um die Horizontalsperre zur Abdichtung sachgerecht herzustellen. Die Klägerin verwendete sodann nicht das ungeeignete Injektionsmittel 1, sondern das technisch geeignete Injektionskonzentrat 2, welches einen geringeren Materialpreis aufwies. Die Auftragnehmerin hat sodann unter anderem Werklohn auf der Grundlage des vereinbarten Vertrags (und dort aufgeführten Injektionsmittels 1) eingeklagt. Das Landgericht hat die Beklagten zur Zahlung des Werklohns verurteilt.
Das OLG Brandenburg hat die Entscheidung, soweit von Relevanz, teilweise aufgehoben und der Auftragnehmerin einen geringeren Werklohn zugesprochen (auf der Grundlage der Kalkulation für das preislich günstigere und technisch geeignete Injektionskonzentrat 2). Die Parteien hätten zunächst einen Werkvertrag (§ 631 BGB) geschlossen, die Leistungen seien auch abgenommen worden. Ein Werkmangel habe nicht vorgelegen. Ein Mangel nach § 633 Abs. 2 Satz 1 BGB liege nicht vor. Eine Beschaffenheitsvereinbarung sei durch die Nennung des Injektionsmittels 1 (infolge der Beratung einer Mitarbeiterin der Klägerin) im Vertrag nicht vereinbart worden. Denn der Vertrag mit seinen Bestandteilen sei nach den §§ 311 Abs. 2, 157 BGB auszulegen gewesen, der Besteller (hier die Beklagten) habe bei einem Werkvertrag regelmäßig das Interesse, dass das geschuldete Werk ordnungsgemäß hergestellt wird (und nicht, dass das eine oder andere Baumaterial verwendet wird). Die Klägerin habe daher als Empfängerin der Willenserklärung davon ausgehen müssen, dass die Beklagten just eine ordnungsgemäße Abdichtung begehren und nicht die Verwendung eines für den Erfolg ungeeigneten Materials. Im Einzelfall könne auch eine ungeeignete Ausführungsart oder die Verwendung von ungeeignetem Baumaterial konkret Vertragsbestandteil werden, hierfür müsse der Auftragnehmer den Auftraggeber über die fehlende Geeignetheit und die Folgen hieraus ausdrücklich aufklären – hierzu habe es an Vortrag gefehlt. Ein etwaiger Mangel durch einen Verstoß gegen die allgemein anerkannten Regeln der Technik, indem die Klägerin vor der Injektion keine Voruntersuchungen/Bauzustandsanalyse vornahm, insbesondere keine Feststellungen zur Durchfeuchtung der einzelnen Bauteile traf, liege nicht vor, weil die hierfür darlegungs- und beweisbelastete Klägerin mit Hilfe des Sachverständigen beweisen konnte, dass sich der Verstoß nicht nachteilig auf das Werk und dessen Nutzbarkeit auswirkt oder noch auswirken werde.
Allerdings sei der Werklohn – anders als das Landgericht noch meinte – nach § 313 BGB wegen des Fehlens der Geschäftsgrundlage im Hinblick auf die Verwendung eines anderen, preiswerteren Mittels als des vertraglich vereinbarten Materials anzupassen (dies führte vorliegend zu einer teilweisen Aufhebung des Urteils des Landgerichts). Vorliegend sei ein Fall von § 313 Abs. 2 BGB gegeben, da sich ein gemeinsamer Kalkulationsirrtum realisiert habe. Es gehe zwar nicht um eine Preisanpassung infolge von nachträglichen Mengenmehrungen oder Preissteigerungen, aber um einen beiderseitigen anfänglichen Irrtum über die Geeignetheit eines Baumaterials (des Injektionsmittels). Auf diesem Irrtum habe auch die Kalkulation der Klägerin beruht – die Klägerin müsse sich nach Treu und Glauben aber daran halten, was die Parteien vereinbart hätten, wenn der Irrtum über die Geeignetheit aufgefallen wäre. Da der Preis und die Menge des zu verbauenden Materials, welches geeignet war, geringer war als der Preis und die Menge des vereinbarten Baumaterials, war der Werklohn der Klägerin entsprechend herabzusetzen gewesen. Insoweit habe die Klägerin auch ihre Kalkulation vorgelegt, so dass anhand dieser Kalkulation eine Berechnung des Werklohns möglich gewesen sei. Ein Rückgriff auf den Baukostenindex, der sich nicht an dem Einzelfall orientiert, sondern aus den Kosten vieler verschiedener Unternehmen mit unterschiedlichen Kalkulationsgrundsätzen ohne Beachtung der lokalen Besonderheiten zusammensetzt, sei daher nicht angezeigt gewesen.
Die Klägerin würde in der Höhe den gleichen Werklohn – auch ohne Anwendung von § 313 Abs. 2 BGB – erhalten, da die Beklagten einen Anspruch aus fehlerhafter Beratung bei Vertragsschluss aus den §§ 311 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB gegen die Klägerin (§ 278 BGB) haben. Die Differenz der sich hieraus ergebenden unterschiedlichen Kosten stelle den Schaden dar. In der Höhe führe dieses Gegenrecht zu der Höhe, die sich bei der Anpassung des Vertrags ergibt. Maßgeblich sei daher auch hier die Kalkulation der Klägerin für das erstellte Angebot und die Kalkulation bei der Verwendung des geeigneten Baumaterials.


C.
Kontext der Entscheidung
Das OLG Brandenburg zog im vorliegenden Fall die Regelung über die Störung der Geschäftsgrundlage heran; § 313 BGB ist in der jüngeren Vergangenheit eher durch die Folgen der Covid-19-Pandemie (Tomic, ZfBR 2020, 419 und Christiansen, ZfBR 2020, 428) und die starke Steigerung von Baupreisen infolge der verschiedenen internationalen Konflikte in den Vordergrund gerückt (dazu Seidenberg, NZBau 2022, 257 und Kues/Simlesa, NZBau 2022, 319). Eine Anwendung von § 313 BGB auf eine „fehlerhafte“ Vereinbarung zur Verwendung eines Baumaterials stellt in der bisherigen Rechtsprechung die Ausnahme dar.
Im Grundsatz ist darauf zu achten, dass eine Anwendung von § 313 BGB im Werkvertrag bei „fehlerhaften“ Preisen/Massenansätzen eher restriktiv gehandhabt wird (vgl. BGH, Beschl. v. 23.03.2011 - VII ZR 216/08), sofern vertragliche (oder gesetzliche) Regelungen Abhilfe für die Fallkonstellation schaffen (wie die §§ 1 Abs. 4, 2 Abs. 3 VOB/B oder die §§ 650b und 650c BGB – insofern ist aber auf § 2 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 VOB/B hinzuweisen, der bei einem Pauschalpreisvertrag auf § 313 BGB Bezug nimmt). Ein Blick in die Regelungen zeigt auf, dass eine Anwendung von § 313 Abs. 2 BGB vom Wortlaut her in Betracht kommt, wenn die von den Parteien vereinbarte Sollbeschaffenheit – die freilich auch in der Verwendung eines bestimmten Baumaterials ihren Ausfluss nehmen kann – von Anfang an objektiv nicht geeignet ist, die eigentlich intendierte Funktionstauglichkeit des jeweiligen (Bau-)Werks zu begründen und sich diese Erkenntnis nachträglich aufzeigt. Die Vorschrift von § 650b Abs. 1 Nr. 2 BGB dürfte im Gegenzug dann zur Anwendung gelangen, und § 313 BGB für diesen Fall ausschließen, wenn sich die Änderungen objektiv erst nach Vertragsschluss ergeben, zu Beginn des Vertrags also die Geeignetheit noch gegeben ist.
An dieser Stelle sei daran erinnert, dass sich bei § 313 Abs. 1 BGB Geschäftsgrundlage und Vertragsinhalt ausschließen – der Vertragsinhalt (nach Wortlaut und Auslegung) ist nicht zugleich seine Geschäftsgrundlage. Bei § 313 Abs. 2 BGB fehlt es bereits an der (gemeinsamen) Geschäftsgrundlage (Weingart, NZBau 2019, 342, 348 f.). Insofern ist es überzeugend, wenn das OLG Brandenburg – inzidenter – wohl darauf abstellt, dass die Parteien subjektiv die Vorstellung hatten, dass man mit dem angedachten Baumaterial den Erfolg herbeiführen kann, dies aber objektiv von Anfang an nicht richtig war (und quasi die gemeinsame Vorstellung zur Geeignetheit durch die Ablehnung einer Beschaffenheitsvereinbarung nicht zum Vertragsinhalt gemacht hat). Dies kann je nach Anpassung der Leistung zu einer Mehr- oder Mindervergütung führen. Dogmatisch ist aber zu hinterfragen, ob die Vorgehensweise des OLG Brandenburg überzeugt, einen gemeinsamen Kalkulationsirrtum anzunehmen. Insoweit scheint das Oberlandesgericht anzunehmen, dass die (offene) Kalkulation der Klägerin auch für die Beklagten maßgeblich geworden ist – tatsächliche Feststellungen hierzu sind aber nicht ersichtlich. Das Urteil verhält sich zu dem Angebot der Klägerin mit den dort festgehaltenen Preisen, nicht aber dazu, ob die Klägerin auch die eigene Kalkulation darlegte – zwischen Kalkulation und Preis im Angebot ist aber im Grundsatz zu unterscheiden. Der gemeinsame Kalkulationsirrtum verlangt, dass eine Berechnung infolge eines Irrtums der Beteiligten auf der Grundlage einer von allen Seiten als maßgeblich befundenen Berechnungsgrundlage fehlerhaft erfolgt. Ob dies aber den Fall betrifft, dass gerade nicht nur eine Berechnung geändert wird – z.B. aufgrund einer Fehlvorstellung beider Parteien über den Erdzustand muss die 30-fache Menge des Materials genommen werden –, sondern dass sich die angebotene Leistung vollständig ändert (und dann neu mit den Eigenheiten der neuen Leistung kalkuliert werden muss), ist zumindest fraglich.
Am Rande sei angemerkt, dass das OLG Brandenburg den Weg über den gemeinsamen Kalkulationsirrtum gar nicht hätte nehmen müssen – es hätte bei der Feststellung eines subjektiven (gemeinsamen) Irrtums über die grundsätzliche Geeignetheit des Materials bei Vertragsschluss als Geschäftsgrundlage verbleiben können. Die Folge ist – wie vom OLG Brandenburg – angenommen eine Vertragsanpassung an das dann tatsächliche Leistungs-Ist; insoweit war dann auf die Kalkulation für das sodann geeignete Material abzustellen.
Zuletzt sei darauf hingewiesen, dass das OLG Brandenburg davon ausging, dass den Beklagten wegen der fehlerhaften Beratung ein Schadensersatzanspruch zusteht. Dies überzeugt im Ergebnis, ist dieser Anspruch wohl als Aufrechnung zu werten gewesen. Dann aber gilt § 389 BGB und es wäre auf eine Anpassung der Vergütung wohl nicht mehr angekommen, weil der geltend gemachte Anspruch der Klägerin in dem Mehrwert bereits durch die Aufrechnung als erloschen galt. Denn der Zeitpunkt von § 389 BGB dürfte im vorliegenden Fall vor dem Zeitpunkt der Geltendmachung des § 313 BGB gewesen sein, dem eine „Rückwirkung“ wie § 389 BGB wohl grundsätzlich nicht innewohnt.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Es ist nicht zu erwarten, dass die Praxis in der Zukunft durch die Entscheidung des OLG Brandenburg mit einer steigenden Anzahl an Fällen von § 313 Abs. 2 BGB zu tun haben wird. Die Besonderheit war, dass der Auftragnehmer während des Bauens erkannte, dass das vertragliche Baumaterial nicht geeignet war und sodann eigenständig ein anderes Material nutzte – während zu Beginn der Vertragsaufnahme alle Beteiligten ausdrücklich darüber sprachen, dass das vereinbarte Material geeignet sei. Solche Fälle dürften aufgrund des für § 313 Abs. 2 BGB zwingenden Vorliegens der beidseitigen Fehlvorstellung bei Leistungsbeginn eher die Ausnahme bleiben.



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