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Anmerkung zu:BGH 7. Zivilsenat, Urteil vom 22.06.2023 - VII ZR 881/21
Autor:Hans Christian Schwenker, RA und FA für Bau- und Architektenrecht
Erscheinungsdatum:05.09.2023
Quelle:juris Logo
Normen:§ 167 ZPO, § 492 ZPO, § 494a ZPO, § 485 ZPO, § 204 BGB, § 411 ZPO, § 490 ZPO
Fundstelle:jurisPR-PrivBauR 9/2023 Anm. 1
Herausgeber:Dr. Bernd Siebert, RA und FA für Bau- und Architektenrecht
Zitiervorschlag:Schwenker, jurisPR-PrivBauR 9/2023 Anm. 1 Zitiervorschlag

Änderung der Rechtsprechung: Selbstständiges Beweisverfahren endet einheitlich



Leitsätze

1. Ein selbstständiges Beweisverfahren ist grundsätzlich mit der sachlichen Erledigung der beantragten Beweissicherung anderweitig beendet i.S.v. § 204 Abs. 2 Satz 1 Fall 2 BGB (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urt. v. 28.10.2010 - VII ZR 172/09 Rn. 11 m.w.N.).
2. Entscheidend für die Beurteilung der sachlichen Erledigung ist dabei grundsätzlich das Ende der gesamten Beweisaufnahme. Das gilt unabhängig davon, ob in einem selbstständigen Beweisverfahren die Sicherung des Beweises hinsichtlich nur eines Mangels oder mehrerer - auch voneinander unabhängiger - Mängel stattfindet und auch ohne Rücksicht darauf, ob diese durch einen oder mehrere Sachverständige erfolgt (Aufgabe von BGH, Urt. v. 03.12.1992 - VII ZR 86/92 - BGHZ 120, 329).



A.
Problemstellung
Der VII. Zivilsenat hat 1992 entschieden, dass, wenn mehrere, voneinander unabhängige Mängel desselben Bauvorhabens Gegenstand mehrerer Sachverständigengutachten sind, die Beweissicherung hinsichtlich eines jeden dieser Mängel mit der Übermittlung des auf ihn bezogenen Gutachtens endet und damit insoweit die Unterbrechung der Verjährung (BGH, Urt. v. 03.12.1992 - VII ZR 86/92). Nunmehr hat der Senat Gelegenheit erhalten zu überprüfen, ob dies auch nach der Schuldrechtsmodernisierung und der damit erfolgten Umgestaltung des Verjährungsrechts gilt. Das OLG Stuttgart hatte als Vorinstanz entschieden, dass, werden in einem selbstständigen Beweisverfahren durch einen gerichtlich bestellten Sachverständigen mehrere Mängel begutachtet, die Hemmung der Ansprüche bezüglich der einzelnen Mängel grundsätzlich einheitlich erst mit Abschluss des selbstständigen Beweisverfahrens insgesamt endet (OLG Stuttgart, Urt. v. 30.11.2021 - 10 U 58/21, dazu: Praun, jurisPR-PrivBauR 5/2022 Anm. 3).


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Klägerin beauftragte die Beklagte unter Einbeziehung der VOB/B mit der Herstellung einer Betonfertigteilfassade. Für Mängelgewährleistungsansprüche wurde eine Verjährungsfrist von vier Jahren vereinbart. Zu den Leistungen der Beklagten gehörten unter anderem die Herstellung einer Attika sowie Vorhangfassaden mittels Betonfertigteilelementen und Betonlamellen vor den Fenstern. Die Klägerin nahm die Leistung hinsichtlich der Attikaelemente am 14.12.2006 ab. Bezüglich der Betonlamellen erfolgte eine Abnahme unter Vorbehalt am 11.12.2007. Mit der Beklagten am 22.06.2010 zugegangenem Schreiben vom 17.06.2010 rügte die Klägerin hinsichtlich der Leistung „Betonfertigteilfassaden“ eine Haarrissbildung an der Oberfläche, teilweise durchgehend auf der ganzen Materialstärke, und forderte die Beklagte zur Mängelbeseitigung bis zum 31.08.2010 auf. Mit am 01.12.2010 beim Landgericht eingegangenem und der Beklagten am 21.12.2010 zugestelltem Schriftsatz beantragte die Klägerin die Durchführung eines selbstständigen Beweisverfahrens. In diesem Verfahren wurde ein Gutachten nebst mehrerer Ergänzungsgutachten eingeholt. Der Sachverständige stellte unter anderem Risse im Attikabereich sowie Durchbiegungen der Beton-Fensterlamellen fest. In der vom Landgericht auf Antrag bis zum 19.04.2013 verlängerten Stellungnahmefrist zum ersten Ergänzungsgutachten nahm die Klägerin Stellung, ohne sich zu den Rissen in den Attikaelementen zu äußern. Das selbstständige Beweisverfahren wurde sodann hinsichtlich der nach Auffassung der Klägerin mangelhaften Beton-Fensterlamellen fortgesetzt. Die Risse in den Attikaelementen waren nicht mehr Gegenstand der weiteren Ergänzungsgutachten. Die letzte in dem Verfahren vom Landgericht gesetzte Frist zur Stellungnahme endete mit Ablauf des 23.03.2015, ohne dass die Parteien hiervon Gebrauch machten.
Mit der am 26.06.2015 eingereichten Klage hat die Klägerin die Zahlung eines Kostenvorschusses zur Mängelbeseitigung i.H.v. 762.000 Euro bezüglich der Beton-Fensterlamellen sowie i.H.v. 67.200 Euro bezüglich der Attika verlangt. Das Landgericht hat der Klage betreffend die Beton-Fensterlamellen i.H.v. 101.905,08 Euro stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Auf die wechselseitig eingelegten Berufungen hat das Berufungsgericht die Beklagte wegen Mängeln an der Attika verurteilt, an die Klägerin 67.200 Euro zu zahlen (OLG Stuttgart, Urt. v. 30.11.2021 - 10 U 58/21). Die Klägerin habe gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von 67.200 Euro als Kostenvorschuss zur Mängelbeseitigung wegen Rissen in der Attika gemäß § 13 Nr. 5 Abs. 2 VOB/B (2002). Der Anspruch sei nicht verjährt. Die vierjährige Verjährungsfrist habe mit der Abnahme am 14.12.2006 begonnen und hätte grundsätzlich am 14.12.2010 geendet. Aufgrund der der Beklagten am 22.06.2010 zugegangenen Mängelanzeige habe sich die Gewährleistungsfrist gemäß § 13 Nr. 5 Abs. 1 Satz 2 VOB/B (2002) auf zwei Jahre ab diesem Zeitpunkt bis zum 22.06.2012 verlängert. Das selbstständige Beweisverfahren habe die Verjährung hinsichtlich der Risse in der Attika nicht lediglich bis zum Ende der am 19.04.2013 ablaufenden Stellungnahmefrist zum ersten Ergänzungsgutachten nach § 204 Abs. 1 Nr. 7 BGB gehemmt. Würden mehrere Mängel in einem einheitlichen Beweisverfahren anhängig gemacht, richte sich das Ende der Verjährungshemmung für alle geltend gemachten Mängel nach dem Abschluss des gesamten selbstständigen Beweisverfahrens. Ein Hinweis des Landgerichts zur Beendigung des selbstständigen Beweisverfahrens bezüglich der Risse in der Attika sei nicht erfolgt. Damit sei das selbstständige Beweisverfahren auch in Bezug auf diesen Mangel erst zum 23.03.2015 beendet worden. Wegen § 204 Abs. 2 Satz 1 BGB sei daher von der Hemmung der Verjährung bis zum 23.09.2015 auszugehen, weshalb die Klage vom 26.06.2015 in unverjährter Zeit erhoben worden sei und diese zu einer erneuten Hemmung der Verjährung geführt habe.
Die Revision der Beklagten, mit der diese sich allein gegen ihre Verurteilung im Hinblick auf die Risse in der Attika wendet, hat keinen Erfolg. Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht angenommen, dass die Voraussetzungen eines Anspruchs der Klägerin gegen die Beklagte gemäß § 13 Nr. 5 Abs. 2 und Nr. 6 VOB/B (2002) auf Zahlung eines Kostenvorschusses zur Mangelbeseitigung i.H.v. 67.200 Euro vorliegen. Die von der Beklagten erhobene Einrede der Verjährung hat keinen Erfolg. Die Ansprüche sind nicht verjährt. Ohne Rechtsfehler ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die vierjährige Verjährungsfrist mit Abnahme der Leistung am 14.12.2006 zu laufen begonnen hat und die Verjährung zunächst durch das selbstständige Beweisverfahren nach § 204 Abs. 1 Nr. 7 BGB gehemmt worden ist. Diese Hemmung dauerte gemäß § 204 Abs. 2 Satz 1 Fall 2 BGB bis zum Ablauf des 23.09.2015 an, so dass der vorherige Eingang der Klage am 26.06.2015 die Verjährung der Ansprüche gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB, § 167 ZPO ebenfalls gehemmt hat. Denn das eingeleitete selbstständige Beweisverfahren war – auch hinsichtlich der Risse in der Attika – (erst) am 23.03.2015 beendet.
Ein selbstständiges Beweisverfahren ist grundsätzlich mit der sachlichen Erledigung der beantragten Beweissicherung anderweitig beendet i.S.v. § 204 Abs. 2 Satz 1 Fall 2 BGB. Erfolgt die Beweiserhebung durch ein schriftliches Sachverständigengutachten, ist dies mit dessen Übersendung an die Parteien der Fall, wenn weder das Gericht nach den §§ 492 Abs. 1, 411 Abs. 4 Satz 2 ZPO eine Frist zur Stellungnahme gesetzt hat noch die Parteien innerhalb eines angemessenen Zeitraums Einwendungen dagegen oder das Gutachten betreffende Anträge oder Ergänzungsfragen mitteilen. Läuft eine vom Gericht gesetzte Frist zur Stellungnahme ab, ohne dass die Parteien hiervon Gebrauch machen, endet das Verfahren grundsätzlich mit deren Ablauf. Entscheidend für die Beurteilung der sachlichen Erledigung ist dabei grundsätzlich das Ende der gesamten Beweisaufnahme. Das gilt unabhängig davon, ob in einem selbstständigen Beweisverfahren die Sicherung des Beweises hinsichtlich nur eines Mangels oder mehrerer – auch voneinander unabhängiger – Mängel stattfindet und auch ohne Rücksicht darauf, ob diese durch einen oder mehrere Sachverständige erfolgt. Soweit der BGH mit Urteil vom 03.12.1992 (VII ZR 86/92) entschieden hat, dass die Beweissicherung und damit die Unterbrechung der Verjährung bei mehreren, voneinander unabhängigen Mängeln desselben Bauvorhabens mit dem Abschluss der Beweissicherung hinsichtlich eines jeden dieser Mängel ende, auch wenn die verschiedenen Mängel und Sachverständigengutachten Gegenstand nur eines, formal zusammengefassten Verfahrens geworden sind, hält er an dieser Auffassung aus den nachfolgenden Gründen nicht mehr fest. Bereits der Wortlaut von § 204 Abs. 2 Satz 1 BGB spricht für diese Auslegung der Norm in Bezug auf das selbstständige Beweisverfahren. Die Bestimmungen über die Verjährung enthalten eine formale Regelung; ihre Auslegung muss sich grundsätzlich eng an den Wortlaut anlehnen. Das gebietet die Rechtssicherheit. Gemäß § 204 Abs. 2 Satz 1 BGB endet die Hemmung nach § 204 Abs. 1 BGB sechs Monate nach der rechtskräftigen Entscheidung oder – wie bei einem selbstständigen Beweisverfahren – „anderweitigen Beendigung des eingeleiteten Verfahrens“. Danach muss das Verfahren insgesamt sachlich erledigt sein. Eine teilweise Beendigung des Verfahrens im Hinblick auf einzelne von mehreren Beweisgegenständen, insbesondere auf die konkret zu begutachtenden Mängel reicht nach dem Wortlaut von § 204 Abs. 2 Satz 1 BGB, nicht aus. Vielmehr knüpft die Norm durch ihren Wortlaut an die Beendigung des prozessualen Verfahrens, das zur Hemmung geführt hat, an. Dessen Umfang beurteilt sich nach dem, einem verfahrenseinleitenden Antrag stattgebenden, Beschluss des Gerichts gemäß § 490 Abs. 2 ZPO. Dieses so bestimmte Verfahren ist erst mit dessen sachlicher Erledigung beendet. Ein anderes, früheres Ende hat das in Gang gesetzte selbstständige Beweisverfahren, wenn der Antrag nicht zurückgenommen wird, grundsätzlich nicht.
Dieser Wortlaut entspricht dem in der Gesetzesbegründung zu § 204 Abs. 2 BGB zum Ausdruck gekommenen Willen des Gesetzgebers, wonach „die durch die in Absatz 1 genannten Rechtsverfolgungsmaßnahmen ausgelöste Hemmung […] während des gesamten Verfahrens“ andauern soll (BT-Drs. 14/6040, S. 117). Es handelt sich bei der Begutachtung verschiedener Mängel nicht etwa um mehrere selbstständige Beweisverfahren, die nur äußerlich gemeinsam durchgeführt werden. Denn auch wenn die Beweiserhebung im Hinblick auf einen selbstständigen Mangel inhaltlich bereits abgeschlossen ist, im Übrigen aber noch fortgesetzt wird, kann der Antragsgegner mangels Beendigung des selbstständigen Beweisverfahrens beispielsweise (noch) nicht nach § 494a Abs. 1 ZPO beantragen, dass der Antragsteller binnen einer zu bestimmenden Frist Klage zu erheben hat, um so im Fall des Unterbleibens die Kostenfolge des § 494a Abs. 2 ZPO auszulösen.
Sinn und Zweck von § 204 BGB stützen ebenfalls diese Auslegung. Den verjährungshemmenden Tatbeständen des § 204 Abs. 1 BGB liegt der Rechtsgedanke zugrunde, dass der Gläubiger durch aktives Betreiben seines Anspruchs seinen Rechtsverfolgungswillen so deutlich macht, dass der Schuldner gewarnt wird und sich auf eine Inanspruchnahme noch nach Ablauf der ursprünglichen Verjährungsfrist einstellen muss. Dieser die Hemmung der Verjährung rechtfertigende Rechtsverfolgungswille des Gläubigers bleibt aber auch dann für den Schuldner weiter erkennbar, wenn im Rahmen eines selbstständigen Beweisverfahrens ein Mangel begutachtet worden ist, die Parteien keine Fragen mehr an den Sachverständigen stellen oder Einwendungen gegen dessen Gutachten haben, die Begutachtung hinsichtlich weiterer in demselben Verfahren anhängiger Mängel jedoch noch nicht abgeschlossen ist. Es ist für den Schuldner absehbar, dass sein Gläubiger regelmäßig noch den Abschluss des gesamten Verfahrens abwarten möchte, um dann etwaige weitere Maßnahmen zur Durchsetzung seiner (Mängel-)Ansprüche auf Grundlage des vollständigen Begutachtungsergebnisses zu ergreifen. Der Schuldner muss sich daher weiterhin, auch wenn die Beweissicherung betreffend einen Mangel beendet ist, auf eine Inanspruchnahme einstellen.
Auch prozessökonomische Erwägungen sprechen für dieses Ergebnis. Es wäre für die Parteien unnötig umständlich und zeitaufwändig, wenn der Besteller gezwungen wäre, Ansprüche aus einzelnen im selbstständigen Beweisverfahren abschließend begutachteten Mängeln klageweise geltend zu machen, nur um ein Ende der Verjährungshemmung zu verhindern, während sich andere Mängel noch in der Begutachtungsphase befinden, zumal dann die Notwendigkeit hinzukäme, sukzessive weitere Mängelansprüche nach Abschluss der Begutachtung durch Klageerweiterung in den Rechtsstreit einzuführen. Dies läuft dem den Zivilprozess prägenden gesetzgeberischen Ziel zuwider, einen Rechtsstreit möglichst kompakt und zügig zu entscheiden. Zudem widerspricht es dem jedenfalls mit dem selbstständigen Beweisverfahren auch verfolgten Zweck der Vermeidung eines Rechtsstreits (§ 485 Abs. 2 Satz 2 ZPO), wenn der Antragsteller aus verjährungsrechtlichen Gründen frühzeitig zur Klageerhebung gezwungen wird. Eine gütliche Einigung zwischen den Parteien wird eher zustande kommen, wenn über alle vom Besteller behaupteten Mängel Klarheit besteht, da erst dann ein umfassender, den gesamten Streit beendender Vergleich möglich wird.
Die rechtliche Selbstständigkeit von Mängeln und der aus ihnen resultierenden Ansprüche führt zu keinem anderen Ergebnis. Ansprüche wegen mehrerer, voneinander unabhängiger Mängel der Werkleistung verjähren grundsätzlich selbstständig. Beginn, Dauer und Ende der Verjährung ist daher für jeden Mangelanspruch gesondert festzustellen. So hemmt ein selbstständiges Beweisverfahren die Verjährung nicht allgemein für Mängelansprüche aus dem betreffenden Werkvertrag. Eine Hemmung tritt vielmehr lediglich für Ansprüche aus denjenigen Mängeln ein, die zum Gegenstand des Verfahrens gemacht werden. Daraus lässt sich indes nicht ableiten, dass die Hemmung der Verjährung von Ansprüchen aus solchen, gemeinsam zum Gegenstand eines Verfahrens gemachten mehreren verschiedenen Mängeln unterschiedlich enden könnte. Denn für das Ende der Hemmung kommt es ausschließlich auf die Beendigung des Verfahrens an; der rechtlichen Selbstständigkeit eines Mangelanspruchs kommt hierfür keine eigenständige rechtliche Relevanz zu. Es handelt sich – wie oben dargelegt – hinsichtlich aller geltend gemachten Mängel bei einem selbstständigen Beweisverfahren um ein einziges Verfahren. Dessen Ende insgesamt ist deshalb für die Dauer der Hemmung maßgebend, nicht anders als bei einer Klage wegen Ansprüchen aus mehreren, voneinander unabhängigen Mängeln die Dauer der Hemmung nach § 204 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1 BGB bestimmt wird.


C.
Kontext der Entscheidung
Die Entscheidung ist von größter praktischer Bedeutung für anhängige selbstständige Beweisverfahren. Nunmehr ist – endlich – höchstrichterlich entschieden, dass das Verfahren mit dem Ende der gesamten Beweisaufnahme „anderweitig beendet“ ist i.S.v. § 204 Abs. 2 Satz 1 BGB, unabhängig davon, ob die Sicherung des Beweises hinsichtlich nur eines Mangels oder mehrerer – auch voneinander unabhängiger – Mängel stattfindet und auch ohne Rücksicht darauf, ob diese durch einen oder mehrere Sachverständige erfolgt. Der Zeitpunkt der Beendigung wiederum ist entscheidend für die Bestimmung des Zeitpunkts, ab dem die Sechsmonatsfrist läuft, mit deren Ablauf die durch das selbstständige Beweisverfahren eingetretene Hemmung endet. Eine förmliche Beendigung des selbstständigen Beweisverfahrens ist im Gesetz nicht vorgesehen. Ein anderer Abschluss als die Sicherung eines bestimmten Beweises findet nicht statt. Ein selbstständiges Beweisverfahren ist beendet, wenn die Beweissicherung sachlich erledigt ist. Erfolgt die Beweiserhebung durch ein schriftliches Sachverständigengutachten, ist das selbstständige Beweisverfahren mit dessen Übersendung an die Parteien beendet, wenn weder das Gericht nach § 411 Abs. 4 Satz 2 ZPO eine Frist zur Stellungnahme gesetzt hat noch die Parteien innerhalb eines angemessenen Zeitraums Einwendungen dagegen oder das Gutachten betreffende Anträge oder Ergänzungsfragen mitteilen. In den letztgenannten Fällen endet die Hemmung erst zu einem späteren Zeitpunkt (BGH, Urt. v. 28.10.2010 - VII ZR 172/09 Rn. 11 m.w.N.). Zur sicheren Bestimmung dieses Zeitpunktes sollten die Verfahrensbeteiligten beantragen, dass das Gericht die Beendigung des Verfahrens durch Beschluss feststellt. Da ein solcher Beschluss nur deklaratorische Wirkung hatte, müsste er das Datum der Beendigung des Verfahrens enthalten.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Der BGH hält fest, dass sich der Umfang des selbstständigen Beweisverfahrens nach dem, einem verfahrenseinleitenden Antrag stattgebenden, Beschluss des Gerichts gemäß § 490 Abs. 2 ZPO bestimmt (BGH, Urt. v. 22.06.2023 - VII ZR 881/21 Rn. 26). Nicht entschieden hat der BGH damit die in der Praxis nicht selten vorkommende Konstellation, dass während der Durchführung des Verfahrens, etwa durch Hinweis das gerichtlichen bestellten Sachverständigen, weitere Mängel offenbar werden, die nicht Gegenstand des verfahrenseinleitenden Beschlusses gemäß § 490 Abs. 2 ZPO sind. In diesem Fall wird das Gericht auf Antrag einen ergänzenden Beweisbeschluss erlassen, der die neu aufgetretenen Mängel umfasst, die andere Gewerke betreffen können als das vom verfahrenseinleitenden Beschluss betroffene. Auch in dieser Konstellation wird man die Entscheidung dahin verstehen müssen, dass letztlich aus dem vom Senat hervorgehobenen Gesichtspunkt der Verfahrensökonomie das Verfahren erst beendet ist, wenn die gesamte Beweisaufnahme beendet ist.



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