juris PraxisReporte

Autor:Prof. Dr. Dr. Michael Kubiciel
Erscheinungsdatum:05.02.2024
Quelle:juris Logo
Normen:§ 44a DRiG, § 338 StPO, § 222b StPO, § 44b DRiG
Fundstelle:jurisPR-StrafR 3/2024 Anm. 1
Herausgeber:Dr. Mayeul Hiéramente, RA und FA für Strafrecht
Zitiervorschlag:Kubiciel, jurisPR-StrafR 3/2024 Anm. 1 Zitiervorschlag

Fehlende Verfassungstreue als Revisionsgrund? Anmerkungen zu einem Regierungsentwurf

I. Hintergrund

Ein kürzlich im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages diskutierter Entwurf zur Änderung des Deutschen Richtergesetzes (veröffentlicht als BT-Drs. 20/8761) könnte zu weitreichenden Folgen gerade im Strafverfahren führen und der Strafverteidigung neue Handlungsoptionen bescheren.1 Der Gesetzentwurf fokussiert ehrenamtliche Richterinnen und Richter aller Gerichtszweige, die keine Gewähr dafür bieten, dass sie „jederzeit“ für die freiheitlich-demokratische Grundordnung im Sinne unseres Grundgesetzes eintreten. Er macht damit eine fundamentale Mindestqualifikation zur Ausübung rechtsprechender Gewalt in dem vom Grundgesetz geformten Rechtsstaat deutlich. Im Hintergrund der Gesetzesänderungen steht die – begründete – Befürchtung, dass Reichsbürger, Rechtsextreme und andere Verfassungsfeinde Zugang zum Laienrichteramt suchen, um damit ihre ideologischen Ziele zu fördern.2 Dies gefährdet das Vertrauen der Allgemeinheit in die Neutralität der wichtigsten Institution unseres Rechtsstaates. Infolgedessen muss die Unabhängigkeit der Justiz auch gegenüber Gefahren von innen gestärkt werden.3

II. Inhalt

§ 44a DRiG soll so geändert werden, dass künftig zu dem Amt eines ehrenamtlichen Richters nicht berufen werden darf, wer keine Gewähr dafür bietet, dass er jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintritt. § 44b DRiG soll so geändert werden, dass klargestellt wird, dass ehrenamtliche Richter auch dann aus dem Amt entfernt werden dürfen, wenn nachträglich Hindernisse einer Berufung eingetreten sind. Diese Regelungen sind auf den ersten Blick deklaratorisch. Ehrenamtliche Richterinnen und Richter können schon auf Grundlage der geltenden Rechtslage wegen fehlender Verfassungstreue aus dem Amt entfernt werden; dies gilt auch, wenn sich die mangelnde Verfassungstreue in einem Verhalten nach ihrer Berufung und außerhalb des Amtes zeigt.4 Damit trägt die Rspr. der besonderen Funktion der Richter Rechnung – auch ehrenamtlicher. Denn nicht nur hauptamtliche, sondern auch ehrenamtliche Richter unterliegen einer Pflicht zur besonderen Verfassungstreue, die sich aus ihrer Funktion als hauptamtlichen Richtern gleichberechtigter Organe ergibt. Recht wird in diesem Staat notwendig unter der Geltung des Grundgesetzes gesprochen. Daher dürfen nur Personen zum Richter ernannt werden, die die Gewähr dafür bieten, dass sie die ihnen von Verfassungs wegen obliegenden, durch Eid bekräftigten Pflichten jederzeit uneingeschränkt erfüllen. Der Staat darf daher keinen Personen (Ehren-)Ämter übertragen oder sie in diesen belassen, die die freiheitliche demokratische, rechts- und sozialstaatliche Ordnung ablehnen oder bekämpfen.5

Wenn das DRiG nunmehr explizit zum Ausdruck bringt, dass ehrenamtliche Richter die Gewähr dafür erbringen müssen, dass sie jederzeit für die freiheitlich-demokratische Grundordnung eintreten, so ist dies keine inhaltliche Neuerung, sondern dient nur dazu, allen klarzumachen, wer in ein Laienrichteramt berufen werden darf und wer nicht. Ebenso folgerichtig ist, dass § 44b DRiG n.F. klarstellt, dass diese Gewähr auch durch ein der Berufung nachfolgendes Verhalten entfallen kann.

III. Folgen für das Strafverfahren: Besetzungsrüge und Revisionsgrund

Eine Norm, deren Nichtbeachtung keine Konsequenzen hätte, bliebe unvollkommen. Daher stellt sich mit Blick auf ehrenamtliche Richterinnen und Richter die Frage, was zu geschehen hat, wenn festgestellt wird, dass sie – vor der Berufung oder danach – durch ihr Verhalten zum Ausdruck bringen, dass sie die freiheitlich-demokratische Grundordnung ablehnen. In Bezug auf die Rechtsfolgen trifft der Gesetzentwurf eine folgenschwere Unterscheidung:

Treten erst nach Berufung Umstände ein, die am Eintritt für die freiheitlich-demokratische Grundordnung zweifeln lassen, ist nach § 44b Abs. 1 DRiG ein Abberufungsverfahren einzuleiten. Dies entspricht der bisherigen Rechtslage bzw. Rechtsfolgensystematik. Deutlich anders behandelt wird hingegen der Fall, dass die Umstände, die an der Verfassungstreue zweifeln lassen, bereits vor der Berufung vorlagen. Die Formulierung als zwingender Ausschlussgrund („darf nicht berufen werden“) führt zu einer fehlerhaften Besetzung des Gerichts, wenn sich herausstellt, dass ein Laienrichter berufen worden ist, der – etwa als Rechtsradikaler oder Reichsbürger – nicht hätte berufen werden dürfen. Für Strafverfahren – und nur für diese – hat die fehlerhafte Besetzung die Folge, dass die Verteidigung eine Besetzungsrüge erheben kann und ggf. ein absoluter Revisionsgrund nach § 338 Nr. 1 StPO begründet wird.

Für diese weitreichende Folge mag sprechen, dass die Landesjustizverwaltungen damit einen Anreiz haben, die (untechnisch gesprochene) Verfassungstreue ehrenamtlicher Richterinnen und Richter sorgfältig zu prüfen, bevor diese berufen werden, um eine zusätzliche Belastung der Landesjustiz durch (erfolgreiche) Revisionen zu vermeiden. Dagegen spricht jedoch eine Folge, die die Gesetzesbegründung nicht thematisiert: Künftig werden Strafverfahren mit der „Dauergefahr“ behaftet sein, dass sie wegen eines fehlerhaft berufenen Schöffen wiederholt werden müssen. Denn die Verteidigung muss nicht innerhalb der von § 222b StPO bezeichneten Frist einen Besetzungseinwand geltend machen, da diese Regelung bei einem Besetzungsmangel, der sich aus in der Person des Richters liegenden Tatsachen ergibt, nicht greift.6 Ein fehlender Besetzungseinwand präkludiert die Revision daher nicht. Folglich kann die Verteidigung erst im fortgeschrittenen Verfahrensstadium oder erst nach Urteilsverkündung nach Anhaltspunkten dafür suchen, dass es einem Schöffen schon vor der Berufung an der notwendigen Verfassungstreue mangelte. Die hochgradig normative und damit auslegungsbedürftige Formulierung „freiheitlich-demokratische Grundordnung“ erleichtert die Suche nach solchen Ansatzpunkten erheblich.

Im Strafverfahren müsste dann – auch öffentlich – darüber gestritten werden, ob bestimmte Äußerungen eines Schöffen mit der inneren Struktur der Verfassung kompatibel sind oder nicht. Dies eröffnet bestimmten Gruppierungen die Chance dafür, das Strafverfahren für propagandistische Zwecke zu nutzen. Der Gesetzgeber sollte sich daher die Frage stellen, ob er diese Folge in Kauf nehmen will oder es bei der Möglichkeit der Abberufung verfassungsfeindlicher Richter nach § 44b DRiG belässt. Im Fall der „Hauptamtlichen“ hat er den zweiten Weg gewählt.


Fußnoten


1)

Verf. war einer der vom Rechtsausschuss geladenen Sachverständigen.

2)

Wagner, RuP 59 (2023), 11 ff. mit weiteren Nachweisen. Dazu und zu weiteren (geplanten) Konsequenzen im Dienst- und Disziplinarrecht Herrmann, NVwZ 2023, 128 ff.

3)

Wagner, RuP 59 (2023), 11, 17.

4)

Dazu und zum Folgenden BVerfG, Beschl. v. 06.05.2008 - 2 BvR 337/08 - NJW 2008, 2568 ff.

5)

Grundlegend BVerfG, Beschl. v. 22.05.1975 - 2 BvL 13/73 - BVerfGE 39, 334, 349.

6)

BGH, Beschl. v. 02.02.2022 - 5 StR 153/21 - NJW 2022, 1470.


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