Verschiebung des Bemessungszeitraums wegen pandemiebedingter EinkommenseinbußenOrientierungssätze zur Anmerkung 1. Wie § 2b Abs. 1 Satz 2 BEEG spricht auch § 2b Abs. 1 Satz 3 BEEG davon, dass bestimmte Kalendermonate unberücksichtigt bleiben. Aus dem Wortlaut ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass „unberücksichtigt bleiben“ in Satz 3 eine andere Wortbedeutung zukommen sollte als in Satz 2. 2. Zwar führt die dargestellte Rechtsfolge des § 2b Abs. 1 Satz 3 BEEG zu einer Ungleichbehandlung von Personen, deren pandemiebedingt verringertes Einkommen wegen fehlender Erwerbstätigkeit in den von der Vorverlagerung des Bemessungszeitraums betroffenen Monaten unausgeglichen bleibt, gegenüber Personen, deren Einkommen während der Pandemie oder in den Vorverlagerungsmonaten nicht verringert war. Diese bereits in der einkommensabhängigen Ausgestaltung des Elterngelds angelegte Differenzierung der Höhe des Elterngelds und die damit einhergehende Ungleichbehandlung ist verfassungsrechtlich gerechtfertigt. - A.
Problemstellung Im Zusammenhang mit dem Bemessungszeitraum für die Berechnung des Elterngeldes hat der Gesetzgeber mit Wirkung zum 01.03.2020 in § 2b Abs. 1 Satz 3 BEEG (seit dem 01.09.2021 in § 2b Abs. 1 Satz 4 BEEG) einen zusätzlichen Ausklammerungstatbestand für Einkommensausfälle aufgrund der Covid-19-Pandemie eingeführt. Zu entscheiden war, welche Rechtsfolge dieser neue Ausklammerungstatbestand hat.
- B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung Die Klägerin war nach vorangegangener Elternzeit ab September 2019 wieder erwerbstätig. Ihre Tochter wurde im November 2020 geboren. Aufgrund der Covid-19-Pandemie ordnete der Arbeitgeber der Klägerin in den Monaten April und Mai 2020 Kurzarbeit an, so dass die Klägerin geringere Entgeltzahlungen erhielt, als ohne die Pandemie zu erwarten gewesen wären. Ab September 2020 bezog die Klägerin Mutterschaftsgeld. Nach der Geburt ihrer Tochter bewilligte die Beklagte antragsgemäß Elterngeld. Als Bemessungszeitraum wurden dabei die Monate von September 2019 bis August 2020 zugrunde gelegt. Den nach der Grundregel des § 2b Abs. 1 Satz 1 BEEG maßgeblichen Bemessungszeitraum verschob die Beklagte wegen des Bezugs von Mutterschaftsgeld im September und Oktober 2020 gemäß § 2b Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BEEG um zwei Monate nach vorne. Die Klägerin begehrte im Widerspruchsverfahren höheres Elterngeld. Bei der Bestimmung des Bemessungszeitraums seien auch die von pandemiebedingter Kurzarbeit betroffenen Monate April und Mai 2020 außerachtzulassen. Die gesetzlich vorgesehene Nichtberücksichtigung der Monate April und Mai 2020 sei aber in der Form umzusetzen, dass im Ergebnis nur die verbleibenden zehn Monate des Zeitraums September 2019 bis August 2020 in die Berechnung des Elterngeldes einzustellen seien, sich der Bemessungszeitraum also entsprechend verkürze. Das Widerspruchsverfahren und die darauffolgenden Klagen blieben erfolglos. Auch die Revision wies das BSG zurück. Der Ausklammerungstatbestand in § 2b Abs. 1 Satz 4 BEEG sähe wie die Ausklammerungstatbestände in § 2b Abs. 1 Satz 2 BEEG lediglich eine Modifizierung des Bemessungszeitraums dahin gehend vor, dass anstelle von bestimmten Monaten, die in den regulären Bemessungszeitraum fallen, weiter zurückliegende Kalendermonate in die Elterngeldberechnung einbezogen würden. Von der Länge des Bemessungszeitraums i.S.d. § 2 Abs. 1 Satz 1 BEEG werde dabei nicht abgewichen. Der Wortlaut, die Systematik sowie der Regelungszweck des § 2b Abs. 1 BEEG zeigten, dass der neue Ausklammerungstatbestand an die in § 2b Abs. 1 Satz 2 BEEG bestehenden Tatbestände inhaltlich anknüpfe und dieselbe Rechtsfolge haben solle. Zwar führe die dargestellte Rechtsfolge des § 2b Abs. 1 Satz 4 BEEG zu einer Ungleichbehandlung von Personen wie der Klägerin, deren pandemiebedingt verringertes Einkommen wegen fehlender Erwerbstätigkeit in den von der Vorverlagerung des Bemessungszeitraums betroffenen Monaten unausgeglichen bleibt, gegenüber Personen, deren Einkommen während der Pandemie oder in den Vorverlagerungsmonaten nicht verringert war. Diese bereits in der einkommensabhängigen Ausgestaltung des Elterngelds angelegte Differenzierung der Höhe des Elterngelds und die damit einhergehende Ungleichbehandlung sei aber verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Dass bei einer Ausgestaltung des Elterngelds als Kompensationsleistung für geburtsbedingten Einkommensverlust Unterschiede der Förderung zwischen Familien je nach dem vorgeburtlichen Einkommen der Eltern entstehen, sei angesichts der gesetzlichen Zielsetzung, durch die Kompensation des Wegfalls individuellen Einkommens eine Hinauszögerung des Kinderwunschs verursachende finanzielle Unsicherheit zu verhindern, verfassungsrechtlich hinzunehmen. Dies gelte umso mehr als die Regelung sowohl Eltern wie die Klägerin, deren Einkommen während eines Teils des Bemessungszeitraums pandemiebedingt gemindert ist, als auch Eltern ohne vorgeburtliches Einkommen nicht gänzlich ohne Förderung lässt.
- C.
Kontext der Entscheidung Nach § 2b Abs. 1 Satz 1 BEEG sind für die Ermittlung des Bemessungseinkommens grundsätzlich die zwölf Kalendermonate vor dem Kalendermonat der Geburt des Kindes maßgeblich. Bei der Bestimmung der zwölf Kalendermonate sind Kalendermonate auszuklammern, in denen ein Ausklammerungstatbestand nach § 2b Abs. 1 Satz 2 BEEG erfüllt ist. Die Aufzählung der Ausklammerungstatbestände ist abschließend. Es geht dabei um Zeiten des Elterngeldbezugs für ein älteres Kind (Nr. 1), Zeiten der mutterschutzgesetzlichen Beschäftigungsverbote oder des Bezugs von Mutterschaftsgeld (Nr. 2), Zeiten schwangerschaftsbedingter Erkrankungen (Nr. 3) sowie Zeiten des Wehrpflicht- oder Zivildienstes (Nr. 4). Die Ausnahmen betreffen also Fälle, die inhaltlich eng mit Schwangerschaft und Geburt verknüpft sind oder der Anerkennung besonderer staatlicher Pflichten dienen. Soweit die Tatbestände des § 2b Abs. 1 Satz 2 BEEG erfüllt sind, erfolgt die Ausklammerung der betreffenden Kalendermonate grundsätzlich von Amts wegen. § 2b Abs. 1 Satz 3 BEEG räumt der elterngeldberechtigten Person allerdings das Recht ein, auf die Ausklammerung zu verzichten. Nach der neu eingefügten Regelung des § 2b Abs. 1 Satz 4 BEEG kann die berechtigte Person auf Antrag auch Kalendermonate ausklammern, wenn sie in der Zeit vom 01.03.2020 bis zum 23.09.2022 Einkommensausfälle aufgrund der Covid-19-Pandemie hatte. Die Erweiterung auf pandemiebedingte Einkommensausfälle, etwa in Folge von Kurzarbeit, Freistellung oder Entlassung, soll die wirtschaftliche Stabilität von Familien auch nach dem Ende der Hochzeit der Covid-19-Pandemie gewährleisten ( BT-Drs. 19/18698, S. 7 f.). Mit der vorliegenden Entscheidung knüpft das BSG an seine bisherige Rechtsprechung zur Rechtsfolge der Ausklammerungstatbestände in § 2b Abs. 1 Satz 2 BEEG an und wendet sie auch auf den Ausklammerungstatbestand in § 2b Abs. 1 Satz 4 BEEG an. Danach umfasst der Bemessungszeitraum für das Elterngeld auch bei Nichtberücksichtigung bestimmter Kalendermonate vor dem Monat der Geburt zwölf Kalendermonate, so dass an die Stelle von Monaten, die in den regulären Bemessungszeitraum fallen, weiter zurückliegende Kalendermonate in die Elterngeldberechnung einbezogen werden. Denn durch die Berücksichtigung des Erwerbseinkommens innerhalb von zwölf Kalendermonaten sollen möglichst repräsentativ die Einkommensverhältnisse des berechtigten Elternteils vor der Geburt abgebildet werden, um einen an seinem individuellen Einkommen orientierten Ausgleich für die finanziellen Einschränkungen im ersten Lebensjahr des Kindes zu gewähren (vgl. BSG, Urt. v. 18.08.2011 - B 10 EG 7/10 R - BSGE 109, 42 Rn. 20; BSG, Urt. v. 30.09.2010 - B 10 EG 19/09 R Rn. 19; BSG, Urt. v. 19.02.2009 - B 10 EG 2/08 R Rn. 17).
- D.
Auswirkungen für die Praxis Durch Verzicht auf die oder Beantragung der Ausklammerung bestimmter Monate aus dem Bemessungszeitraum kann die Höhe des Elterngeldes maßgeblich beeinflusst werden. Hinzukommen die Optionen, Elterngeld als Basiselterngeld oder ElterngeldPlus zu beantragen und den Partnerschaftsbonus in Anspruch zu nehmen. Diese Regelungen im Einzelnen zu durchschauen, kann für die elterngeldberechtigte Person eine erhebliche Herausforderung darstellen. Zu beachten ist daher, dass die Elterngeldbehörde nach den gesetzlichen Vorgaben des § 14 SGB I zur Beratung des Elterngeldberechtigten über die Elterngeldansprüche verpflichtet ist und nach § 17 Abs. 1 SGB I darauf hinzuwirken hat, dass der Antragsteller die ihm zustehenden Elterngeldleistungen umfassend erhält (vgl. etwa LSG Niedersachsen-Bremen v. 07.02.2022 - L 2 EG 5/21).
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