Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Antragstellerin (Vodafone GmbH) wurde vom Main-Kinzig-Kreis aufgrund eines im Jahr 2021 durchgeführten beihilferechtlichen Vergabeverfahrens mit einer Dienstleistungskonzession zum Betrieb eines von der öffentlichen Hand noch zu errichtenden Breitbandnetztes betraut. Die Beigeladene (M-net Telekommunikations GmbH) begehrte anschließend einen offenen Netzzugang („Open Access“) zu dem von der Antragstellerin zu betreibenden Breitbandnetz, um eigene Telekommunikationsdienste gegenüber Endnutzern erbringen zu können. Über die Bedingungen des Netzzugangs konnten sich die Beteiligten nicht einigen. Deshalb stellte die Beigeladene einen Antrag auf Einleitung eines Streitbeilegungsverfahrens bei der Beschlusskammer 11 der Bundesnetzagentur als sog. nationale Streitbeilegungsstelle.
Mit Beschluss vom 31.10.2023 (Gz.: BK11-23-003) verpflichtete die Bundesnetzagentur die Antragstellerin, der Beigeladenen einen offenen Netzzugang auf Vorleistungsebene zu den in dem Beschluss festgelegten Überlassungsentgelten anzubieten (abhängig von der Bandbreite im Downlink/Uplink ohne Mehrwertsteuer je Monat von 16,07 Euro bei 100/50 Mbit/s bis 41,04 Euro bei 1.000/500 Mbit/s). Zur Begründung verwies sie darauf, dass nach Abschluss und Auswertung einer von ihr durchgeführten Marktabfrage inzwischen veröffentlichte Durchschnittspreise aus vergleichbaren, wettbewerbsintensiveren Gebieten vorliegen würden, auf die sie bei der Festlegung der Überlassungsentgelte zurückgreife.
Hiergegen erhob die Antragstellerin Klage und stellte den hier gegenständlichen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz vor dem VG Köln.
Das VG Köln hat dem einstweiligen Rechtsschutzantrag stattgegeben. Der angefochtene Beschluss der Bundesnetzagentur erweise sich nach summarischer Prüfung als offensichtlich rechtswidrig. Der Beschluss sei nicht nur formell rechtswidrig, weil den Beteiligten keine ausreichende Gelegenheit zur Stellungnahme hinsichtlich der Marktabfrage und der Ermittlung der Durchschnittspreise eingeräumt worden und der Beschluss ferner hinsichtlich der Preisermittlung nicht ausreichend begründet worden sei.
Die Entscheidung der Bundesnetzagentur sei auch materiell rechtswidrig, weil sie ermessensfehlerhaft sei. Die Bundesnetzagentur habe im vorliegenden Streitbeilegungsverfahren nach pflichtgemäßem Ermessen faire und diskriminierungsfreie Bedingungen einschließlich der Entgelte des begehrten Netzzugangs festzulegen (vgl. § 149 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 4 TKG). Bei der Ermessensausübung habe sie auch die einschlägigen beihilferechtlichen Regelungen zu berücksichtigen. Zur Festlegung der Vorleistungspreise für einen aus beihilferechtlichen Gründen zu gewährenden „Open-Access“-Zugang unter fairen und diskriminierungsfreien Bedingungen würden die einschlägigen Regelungen ein Stufenverhältnis der anzuwendenden Methoden vorsehen (vgl. Rn. 78 Buchst. h der hier noch in der Fassung aus dem Jahr 2013 anzuwendenden EU-Breitbandleitlinie und § 8 Abs. 5 der nationalen Gigabit-Rahmenregelung von 2020). Danach sei vorrangig auf durchschnittliche veröffentlichte Vorleistungspreise in vergleichbaren, wettbewerbsintensiveren Gebieten zurückzugreifen (Stufe 1). Soweit es daran fehlt, seien entsprechende regulierte Preise heranzuziehen (Stufe 2). Wenn weder veröffentlichte noch regulierte Preise vorliegen, seien die Vorleistungspreise im Einklang mit den Grundsätzen der Kostenorientierung und nach der Methode, die der sektorale Rechtsrahmen vorgebe, festzulegen (Stufe 3). Mit Rücksicht auf diesen beihilferechtlichen Rahmen habe die Bundesnetzagentur ihr Ermessen unter drei Gesichtspunkten fehlerhaft ausgeübt:
Die Bundesnetzagentur habe zunächst lediglich die monatlich anfallenden Überlassungsentgelte festgelegt. Gemäß § 149 Abs. 4 TKG sei sie jedoch verpflichtet, neben den Entgelten auch die übrigen Bedingungen für den Netzzugang zu entscheiden. Nur bei einer derartigen ganzheitlichen Betrachtungsweise könne beurteilt werden, ob die Bedingungen insgesamt „fair und diskriminierungsfrei“ seien und die gegenläufigen Interessen des zum Zugang verpflichteten und des hierzu berechtigten Unternehmens angemessen ausgeglichen werden. Da die Entgelte die Gegenleistung für den Netzzugang darstellen, könne ihre Höhe nur mit Rücksicht auf die sonstigen Bedingungen des Netzzugangs bestimmt werden. Entscheidungserheblich könne insoweit etwa sein, ob es sich um einen Einzelabnahmepreis handelt oder ob das nachfragende Unternehmen eine Mindestmenge an Anschlüssen abnimmt und auf diese Weise einen Teil des Auslastungsrisikos des Netzbetreibers übernimmt (sog. Commitment-Modell). Auch die Höhe der Einmalentgelte zur Anschaltung je Endkundenhaushalt oder Kündigung sei bei der Bestimmung der monatlichen Überlassungsentgelte zu berücksichtigen, was die Bundesnetzagentur aber ausdrücklich unterlassen habe.
Die Bundesnetzagentur sei ferner zu Unrecht davon ausgegangen, dass zum Zeitpunkt der Festlegung der Vorleistungsentgelte „veröffentlichte Durchschnittspreise“ im Sinne der vorstehend genannten beihilferechtlichen Vorgaben für die Preisermittlung (Stufe 1) vorgelegen hätten. Es genüge nicht, dass Durchschnittspreise erst durch die Nennung in dem angefochtenen Beschluss veröffentlicht wurden. Die Veröffentlichung müsse vorher erfolgen und sei notwendige Voraussetzung für eine Entgeltermittlung nach Stufe 1. Vieles spreche sogar dafür, dass nur solche Preise aus vergleichbaren, wettbewerbsintensiveren Gebieten herangezogen werden dürfen, die bereits im Zeitpunkt des Vergabeverfahrens zur Auswahl des Netzbetreibers veröffentlicht waren. Zur Begründung führt das Verwaltungsgericht unter anderem an, dass der Netzbetreiber sein Gebot im Auswahlverfahren nur dann zuverlässig kalkulieren könne, wenn die im Falle der Zuschlagserteilung von ihm anzubietenden Vorleistungspreise annähernd vorhersehbar seien.
Im Übrigen habe die Bundesnetzagentur einige der der Preisberechnung zugrunde gelegten Parameter unzutreffend bestimmt. Unter anderem habe sie hinsichtlich der beihilferechtlichen Vorgabe nach vorgenannter Stufe 1, die Vergleichspreise aus „wettbewerbsintensiveren“ Gebieten zu ermitteln, zu Unrecht allein auf ungeförderte Gebiete abgestellt. Denn auch geförderte Gebiete könnten „wettbewerbsintensiver“ sein, wenn sich dort inzwischen ein Wettbewerb auf Endkundenebene entwickelt habe. Zudem habe die Bundesnetzagentur die im Rahmen der Marktabfrage erhobenen Preise verwertet, ohne nach den jeweils zugrunde liegenden preisbestimmenden Geschäftsmodellen zu differenzieren (vgl. näher Rn. 108 ff. der Entscheidung).
Kontext der Entscheidung
Die Streitigkeit lässt sich als Folgeproblem verstehen, das sich aus dem Spannungsverhältnis zwischen dem grundsätzlichen unionsrechtlichen Verbot von wettbewerbs- und binnenmarktrelevanten Beihilfen staatlichen Ursprungs (vgl. Art. 107 Abs. 1 AEUV) und dem Ziel einer besseren Breitbandversorgung ergibt.
Zur Konkretisierung, unter welchen Bedingungen Fördermaßnahmen der öffentlichen Hand zum Breitbandausbau beihilferechtskonform sein können, hat die EU-Kommission unter anderem Leitlinien veröffentlicht (EU-Breitbandleitlinie 2013; aktuelle Fassung: 2023, die jedoch aufgrund der Notifizierung des vorliegenden Verfahrens unter Geltung der 2013er Breitbandleitlinie nicht anwendbar war). Mit Rücksicht auf diese Maßgaben hat die Bundesrepublik Deutschland ihrerseits eine – von der EU-Kommission im Jahr 2020 genehmigte – Rahmenregelung zur Unterstützung des flächendeckenden Ausbaus von Gigabitnetzen erlassen (Gigabit-Rahmenregelung; aktuelle Fassung: 2023, die von der EU-Kommission allerdings soweit ersichtlich noch nicht abschließend genehmigt wurde). Aus beiden Regelungswerken ergibt sich im Sinne der Förderung des Wettbewerbs und der Verhinderung von Wettbewerbsverfälschungen, dass Beihilfeempfänger einen offenen Netzzugang zu dem geförderten Netz zu gewähren haben („Open Access“).
Dementsprechend sieht auch das TKG eine „Open-Access“-Verpflichtung bei öffentlich geförderten Telekommunikationslinien und Telekommunikationsnetzen vor und begründet insoweit gar einen unmittelbaren gesetzlichen Anspruch (vgl. § 155 TKG). Auch danach muss der Zugang zu fairen und angemessenen Bedingungen gewährt werden. Kommt innerhalb von zwei Monaten keine Einigung über den Zugang zustande, kann eine verbindliche Entscheidung durch die Bundesnetzagentur als nationale Streitbeilegungsstelle beantragt werden (vgl. § 149 Abs. 1 Nr. 5 TKG). Diese hat anschließend faire und diskriminierungsfreie Bedingungen einschließlich der Entgelte des beantragten Netzzugangs festzulegen (vgl. § 149 Abs. 4 TKG).