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Anmerkung zu:LG Ellwangen 6. Zivilkammer, Urteil vom 10.02.2023 - 6 O 87/22
Autor:Dr. Alexander Schäfer, Vors. RiLG
Erscheinungsdatum:28.02.2024
Quelle:juris Logo
Normen:§ 7 StVO, § 115 VVG, § 1 StVO, § 8 StVO, § 823 BGB, § 17 StVG, § 315c StGB, § 7 StVG
Fundstelle:jurisPR-VerkR 4/2024 Anm. 1
Herausgeber:Dr. Klaus Schneider, RA, FA für Verkehrsrecht, FA für Versicherungsrecht und Notar
Zitiervorschlag:Schäfer, jurisPR-VerkR 4/2024 Anm. 1 Zitiervorschlag

Haftungsverteilung bei Parkplatzunfall mit ohnmächtigem Fahrzeugführer



Orientierungssatz zur Anmerkung

Eine plötzlich eintretende Ohnmacht ist keine höhere Gewalt i.S.d. § 7 Abs. 2 StVO. Auch in einem solchen Fall ist die Haftungsverteilung nach § 17 StVG zu bestimmen, wobei der Vorhersehbarkeit der Ohnmacht eine besondere Bedeutung zukommt.



A.
Problemstellung
Das Verkehrsrecht ist bekannt für eine Reihe von gleichartigen Fällen, die die Masse der Regulierungsfälle bei Versicherern und Gerichten ausmachen. Das Verkehrsrecht ist aber auch bekannt für die eher ungewöhnlichen Fallkonstellationen, die aus der Masse herausstechen und die entweder eine tiefergehende Betrachtung vermeintlich gut eingeübter Normkomplexe erforderlich machen oder in die überraschend weitere Rechtsgebiete hineinspielen, die normalerweise nicht mit dem Verkehrsrecht verknüpft sind. Die spannendsten Geschichten erzählt das Leben, sagt man, das gilt häufig auch für Sachverhalte. Einen solchen Sachverhalt hatte das LG Ellwangen zur Entscheidung vor sich. Denn während Parkplatzunfälle inzwischen Routine sind, sind Parkplatzunfälle mit einem ohnmächtigen Fahrzeugführer (wenn er noch so bezeichnet werden kann) sicher außergewöhnlich.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Dem rechtskräftig gewordenen erstinstanzlichen Urteil des LG Ellwangen lag der folgende Sachverhalt zugrunde:
Am Abend des 16.04.2021 kam es auf dem Parkplatz eines Drogeriemarktes zu einem Verkehrsunfall, aus dem die Klägerin Schadenersatzansprüche geltend macht. Die Klägerin ist Leasingnehmerin und Halterin eines Pkw Audi RS Q 3. Nach den Audi-Leasingbedingungen ist die Klägerin ermächtigt und verpflichtet, alle fahrzeugbezogenen Ansprüche aus einem Schadensfall in eigenem Namen und auf eigene Kosten geltend zu machen. Der Beklagte zu 1) ist Halter des zweiten unfallbeteiligten Pkw, der bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversichert ist. Das Parkplatzgelände ist so angelegt, dass es eine weitläufige ovale Fahrgasse gibt, um die herum die Parkplätze angelegt sind. Teilweise ist im rechten Winkel zur Fahrgasse zu parken, teilweise parallel zur Fahrgasse. Es gibt dabei auch Parkplätze im Inneren des Ovals, die über fünf rechtwinklig zur ovalen Fahrgasse angeordnete gerade Fahrgassen erschlossen sind. Verkehrsschilder sind auf dem Parkplatz nicht aufgestellt. Richtungspfeile gibt es nur im Bereich der Ein- und Ausfahrt.
Der streitgegenständliche Unfall ereignete sich im Einmündungsbereich einer der Erschließungsfahrgassen hin zur umfassenden ovalen Fahrgasse. Die Zeugin R., die Ehefrau des Geschäftsführers der Klägerin, steuerte dabei das klägerische Fahrzeug von rechts kommend. Sie war im Begriff, nach links in eine der Erschließungsfahrgassen einzufahren. Von dort, also von links kommend, näherte sich das Beklagtenfahrzeug der Einmündung auf der rechten Fahrseite. Das klägerische Fahrzeug war im Kollisionszeitpunkt bereits mit der linken vorderen Fahrzeugseite in die Erschließungsfahrgasse eingefahren. Der Beklagte, der hinter dem Steuer saß, war aufgrund eines Schlaganfalls während der Fahrt ohnmächtig geworden. Noch im Bereich der Erschließungsfahrgasse kam es infolge dieser Situation zum Zusammenstoß. Dabei entstand an dem klägerischen Fahrzeug Sachschaden im Bereich der linken Vorderseite.
Die Klägerin zahlte an die W.-GmbH für die Reparatur ihres Pkw am 27.07.2021 17.786,69 Euro. Weiter zahlte sie für ein Sachverständigengutachten zur Schadenshöhe 1.363,40 Euro, 411,75 Euro Abschleppkosten und 813,44 Euro für einen Mietwagen im Reparaturzeitraum vom 19.04. bis zum 28.04.2021.
Die Klägerin ist der Meinung, zu diesen Positionen kommen eine Kostenpauschale von 25 Euro, ein merkantiler Minderwert von 3.400 sowie die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten hinzu. Sie setzte der Beklagten zu 2) gestaffelt nach der jeweiligen Geltendmachung Regulierungsfristen.
Die Beklagte zu 2) regulierte unter Annahme einer Haftungsquote von 50% insgesamt 11.119,75 Euro, nämlich 8.875,55 Euro Reparaturkosten, 681,70 Euro Sachverständigenkosten, 1.550 Euro merkantiler Minderwert, 12,50 Euro Kostenpauschale sowie 885,80 Euro vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten.
Die Klägerin behauptet, der Beklagte sei mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren. Sie ist der Meinung, die Beklagten hafteten zu 100%, denn der Unfall sei für die Zeugin R. unabwendbar gewesen, jedenfalls trete die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs aufgrund des Vorfahrtsverstoßes und der aufgrund der Ohnmacht erhöhten Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs zurück. Sie verlangt dementsprechend weiteren Schadenersatz sowie den Ersatz der Abschleppkosten, insgesamt 12.680,53 Euro nebst Zinsen ab dem jeweiligen Fristablauf sowie weitere außergerichtliche Rechtsanwaltskosten i.H.v. 270,40 Euro.
Die Klageabweisung beantragenden Beklagten behaupten, die Zeugin R. sei mit überhöhter Geschwindigkeit und unter Mitbenutzung der Fahrbahnseite des Beklagten abgebogen. Deshalb sei ihrer Meinung nach zu Recht anhand einer Quote von 50:50 reguliert worden. Hinsichtlich der Reparaturkosten und des merkantilen Minderwerts sei von geringfügig geringeren Werten auszugehen.
Das LG Ellwangen hat der Klage nach einer Beweisaufnahme mit Einholung eines Gutachtens nur in geringem Umfang stattgegeben und sie im Übrigen bei einer Kostenquote von 94:6 zulasten der Klägerin abgewiesen.
An der Aktivlegitimation der Klägerin hatte das Gericht trotz der Leasingkonstellation dabei keine Zweifel. Die Ansprüche seien an der Anspruchsgrundlage der §§ 7, 17 StVG, hinsichtlich der Beklagten zu 2) zusätzlich aus § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG, zu messen, denn der Schaden sei beim Betrieb eines Kraftfahrzeugs entstanden.
Ersatzansprüche der Klägerin seien dabei nicht schon deshalb nach § 7 Abs. 2 StVG ausgeschlossen, weil der Beklagte zu 1) bewusstlos gewesen sei. Die Ohnmacht sei nicht als höhere Gewalt anzusehen, sondern dem „Versagen der Verrichtungen gleichzustellen“ (insoweit u.a. verweisend auf BGH, Urt. v. 15.01.1957 - VI ZR 135/56 - NJW 1957, 674).
Andererseits sei der Unfall auch aus Sicht der Zeugin R. nicht unvermeidbar gewesen (§ 17 Abs. 3 StVG). Die Kollision wäre nach der Beurteilung des gerichtlichen Sachverständigen, der sich das Gericht anschloss, zu vermeiden gewesen, wenn die Zeugin die von ihr gefahrene Linkskurve ausgefahren hätte und nicht die Fahrbahnseite des Beklagten in der Absicht mitgenutzt hätte, in die erste rechtswinklig angeordnete Parktasche einzufahren.
Folglich sei nach § 17 Abs. 1 und 2 StVG zu entscheiden, welcher Teil den Unfall vorwiegend bzw. zu welchen Anteilen verursacht habe. Hierbei wirke sich zulasten der Klägerseite aus, dass die Zeugin R. die Linkskurve im Hinblick auf die beabsichtigte Einfahrt in die Parktasche besonders stark schnitt. Sie habe auch, ebenso wie ihr Beifahrer, ihr Ehemann und zugleich der Geschäftsführer der Klägerin, nicht speziell nach links geschaut, was nicht dem auf Parkplätzen zu beachtenden Rücksichtnahmegebot aus § 1 Abs. 2 StVO entspreche. Das Gericht schloss dies aus deren übereinstimmenden Angaben, dass sie das Beklagtenfahrzeug erst im Kollisionszeitpunkt bemerkten, obwohl die Sicht nach links in keiner Weise eingeschränkt gewesen sei. Hätte die Zeugin nach links geschaut, hätte sie den Unfall knapp drei Sekunden früher bemerken können. Die behauptete überhöhte Geschwindigkeit des klägerischen Fahrzeugs habe sich hingegen in dem Gutachten nicht erweisen lassen, obwohl es sich im Kollisionszeitpunkt noch in Bewegung befunden habe. Vielmehr sei sie mit Schrittgeschwindigkeit unterwegs gewesen.
Zulasten des Beklagten sei einzustellen, dass er bereits 10-14 Tage zuvor einen Ohnmachtsanfall im Straßenverkehr erlitten habe und trotzdem wieder mit dem Auto fuhr. Das habe dann die Kollision verursacht, bei der er mit seinem Fahrzeug unkontrolliert und mit 15-17 km/h in das klägerische Fahrzeug gefahren sei (für den Fall eines unvorhersehbar bewusstlosen Fahrers verweist das Landgericht in Abgrenzung auf OLG Frankfurt, Urt. v. 09.10.2012 - 22 U 109/11 - NJW-RR 2013, 664, 667).
Nicht zu berücksichtigen sei ein Vorfahrtsverstoß, denn § 8 Abs. 1 StVO greife aufgrund der örtlichen Begebenheiten nicht ein. Dem Parkplatz komme in seiner konkreten Gestaltung kein Straßencharakter zu (vgl. BGH, Urt. v. 22.11.2022 - VI ZR 344/21), weshalb allein die Prinzipien der gegenseitigen Rücksichtnahme eingriffen. Diese treffen hier aber beide Autofahrer gleichermaßen.
Insgesamt sei deshalb zu einer hälftigen Mitverursachungsquote zu kommen. Dies ergebe auch ein Vergleich mit anderen Entscheidungen zu Parkplatzunfällen, deren Fundstellen das Landgericht aufzeige, ohne dass diese mehr als die einzustellenden zuvor genannten Faktoren die Quotenbildung plausibilisieren würden.
Auf der Basis dieser Quote, einem geringen Abzug im Bereich der Reparaturkosten, die der Sachverständige für unplausibel hielt, und der bereits regulierten Position berechnete das Landgericht sodann zutreffend die noch zu zahlenden Beträge.


C.
Kontext der Entscheidung
Die Entscheidung kommt sicherlich zu einem gut vertretbaren Ergebnis. Entscheidend ist, dass im Bereich des § 7 StVG eine eintretende Ohnmacht des Fahrers, anders im Bereich des § 823 Abs. 1 BGB, nicht zu einem Wegfall der Haftung mangels Handlungsfähigkeit führt (vgl. Garbe/Hagedorn, JuS 2004, 287, 293 m.w.N., sowie zur Haftung nach dem CMR für Frachtführer BGH, Urt. v. 21.03.2007 - I ZR 166/04). Auch eine Subsumtion als höhere Gewalt hat das Landgericht zutreffend abgelehnt. Ob man dann mit vergleichsweise dürren Worten und ohne medizinische Sachkenntnis davon ausgehen kann, dass ein Verursachungsbeitrag vorliegt, wenn bereits zuvor eine Ohnmacht aufgetreten war, kann man kritisieren, auch wenn es natürlich ein Aufruf zur Vorsicht sein muss, sich ohne Weiteres wieder hinters Steuer zu setzen. Hier wäre aber ggf. weitere medizinische Aufklärung erforderlich gewesen. Zum Beispiel, wenn der vorherige Vorfall untersucht worden wäre und sich keine Anzeichen gezeigt hätten, dass eine Gefahr für eine Wiederholung besteht. Hier ist aber nicht bekannt, ob es entsprechende Beweisantritte der Parteien gab. So wie das Urteil abgefasst ist, ist davon eher nicht auszugehen, weil sich das Gericht sonst dazu verhalten hätte, warum es hier den Sachverhalt nicht weiter aufklärt. Scheinbar stellte sich dieser Umstand erst während der Parteianhörung des Beklagten heraus. In einem solchen Fall sollte ggf. nicht einfach eine Verkündungsterminanberaumung akzeptiert, sondern zumindest ein Schriftsatznachlass beantragt werden.
Entscheidungen zu Verkehrsunfällen mit einem ohnmächtig gewordenen Fahrer sind selten. Deshalb greift auch das LG Ellwangen hier zentral auf die BGH-Entscheidung aus dem Jahr 1957 zurück. Die Kommentarliteratur hat diese bisher nicht in Frage gestellt und so wird man diese Linie als gesichert anzusehen haben. Folglich hat das Landgericht sich dieser Betrachtung zutreffend angeschlossen. Die Quantifizierbarkeit des Anteils im Rahmen des § 17 StVG ist dann aber „eine Wissenschaft für sich“. Von einer Minderung des Verschuldens bis zu einer signifikanten Erhöhung der Betriebsgefahr ließe sich vieles vertreten.
Ohnmachtseintritte sind auch im Verkehrsstrafrecht immer wieder ein Thema im Rahmen des § 315c Abs. 1 Nr. 1b StGB, denn eine unzureichende körperliche Verfassung zum Steuern von Fahrzeugen kann im Falle eines (Beinahe-)Unfalls auch strafrechtliche Folgen nach sich ziehen, zumal die potenzielle Gefahr für schwere Folgen leicht auszumalen ist (vgl. zum Sekundenschlaf aufgrund Müdigkeit LG Leipzig, Beschl. v. 06.04.2020 - 6 Qs 22/20 - DAR 2021, 403 sowie kontrastierend LG Oldenburg, Beschl. v. 22.04.2021 - 4 Qs 167/21 - DAR 2021, 404).


D.
Auswirkungen für die Praxis
Für die Praxis ist bedeutsam, sich noch einmal in Erinnerung zu rufen, dass das Verschulden des Verursachers für seine Haftung nicht erforderlich ist, weil § 7 StVG eine Gefährdungshaftung anordnet. Die Betriebsgefahr eines Fahrzeugs besteht auch bei einer Ohnmacht des Fahrers weiter, falls sie sich nicht sogar erhöht. Zu achten ist aber darauf, dass die notwendige Aufklärung medizinischer Fragen nicht allein aufgrund laienhafter Überlegungen erfolgt.


E.
Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
Zu erwähnen ist hier, dass das Landgericht angesichts der Schilderung der örtlichen Umstände zu Recht davon abgesehen hat, eine straßenartige Anlage und damit die entsprechende Anwendbarkeit der StVO anzunehmen. Dies wird sogar regelmäßig der Fall sein und zu angemessenen Verschuldensabwägungen beitragen. Der BGH hat diese Unterscheidung unlängst höchstrichterlich bestätigt (vgl. BGH, Urt. v. 22.11.2022 - VI ZR 344/21).



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