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Anmerkung zu:OLG Dresden 4. Zivilsenat, Beschluss vom 21.08.2023 - 4 U 476/23
Autor:Benjamin Krenberger, RiAG
Erscheinungsdatum:27.03.2024
Quelle:juris Logo
Normen:§ 611 BGB, § 280 BGB, § 823 BGB, § 47 VVG, § 86 VVG, § 142 StGB, § 81 VVG
Fundstelle:jurisPR-VerkR 6/2024 Anm. 1
Herausgeber:Dr. Klaus Schneider, RA, FA für Verkehrsrecht, FA für Versicherungsrecht und Notar
Zitiervorschlag:Krenberger, jurisPR-VerkR 6/2024 Anm. 1 Zitiervorschlag

Kein Regress bei leicht fahrlässigem Verhalten einer dritten Person als Fahrer



Leitsätze

1. In der Kasko-Versicherung ist der Fahrer eines Kfz nicht mitversichert und damit grundsätzlich wie ein beliebiger Dritter zu behandeln.
2. Trifft einen beim Versicherungsnehmer angestellter Fahrer an der Schadensherbeiführung nur leichte Fahrlässigkeit, bestehen keine Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, die der Versicherer auf sich überleiten könnte.
3. § 142 StGB stellt keine Schutzgesetz zugunsten des Kaskoversicherers dar.



A.
Problemstellung
Das OLG Dresden musste als Berufungsgericht darüber entscheiden, ob das Fehlverhalten eines anderen Fahrers als der Versicherungsnehmer diesem zugerechnet werden kann. Für den Fall leichter Fahrlässigkeit hat das Oberlandesgericht dies verneint.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Klägerin wurde von dem Versicherer bevollmächtigt, unter anderem Regressforderungen aus Schadensfällen gerichtlich im eigenen Namen einzuziehen. Die Versicherungsnehmerin hat eine Kfz-Kaskoversicherung bei dem Versicherer abgeschlossen. Der Beklagte ist bei der Versicherungsnehmerin als LKW-Fahrer angestellt. Am 17.01.2017 fuhr der Beklagte mit dem der Versicherungsnehmerin gehörenden LKW. Gegen 18.10 Uhr kam er von der Straße ab und kollidierte mit zwei im Grünstreifen befindlichen Bäumen, wodurch sowohl die Bäume als auch der LKW beschädigt wurden. Nach dem Unfall fuhr der Beklagte zum Firmensitz und meldete den Schaden seinem Arbeitgeber. Am Morgen des 18.01.2017 ging der Beklagte zur Polizei und meldete den Schaden. Am 18.01.2017 meldete der Versicherungsnehmer bei dem Versicherer den Schaden. Der Beklagte wurde mit Urteil des Amtsgerichts vom 26.06.2017 wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 40 Euro verurteilt. Der Schaden an dem LKW wurde vom Versicherer reguliert.
Die Klägerin trug vor, der Beklagte habe seine Pflichten aus dem Versicherungsvertrag verletzt, indem er das Schadensereignis nicht unverzüglich angezeigt und sich nicht vollständig erklärt habe. Darüber hinaus habe er den Unfallort entgegen seiner Verpflichtung verlassen, ohne die erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen. Insbesondere könne nun nicht mehr nachvollzogen werden, ob der Beklagte unter Alkoholeinfluss gestanden sei. Der Versicherer habe keine Feststellungen – auch zum Schadensumfang – treffen können.
Der Beklagte trug vor, er sei nicht Versicherungsnehmer und könne nur Angaben gegenüber seinem Arbeitgeber machen. Am Unfalltag seien keine feststellungsbereiten Dritten am Unfallort vorhanden gewesen. Insbesondere hätten keine Feststellungen getroffen werden können, die zur Leistungsfreiheit des Versicherers geführt hätten. Noch am Unfalltag habe er persönlich die Ehefrau seines Arbeitgebers informiert und ihr den Unfall geschildert. Am nächsten Morgen sei er um 7.00 Uhr zur zuständigen Polizeidienststelle gegangen und habe sich angezeigt. Er hätte den Schaden nicht gegenüber dem Versicherer anzeigen können, da ihm dieser überhaupt nicht bekannt gewesen sei.
Das Landgericht wies die Klage ab. Hiergegen richtete sich die Berufung der Klägerin.
Das OLG Dresden hat einen Hinweisbeschluss erlassen, dass es beabsichtigt, die Berufung der Klägerin ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückzuweisen.
Die Berufung biete in der Sache offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Das Landgericht habe die Klage zu Recht abgewiesen.
Der Klägerin stehe kein Anspruch gegen den Beklagten zu. Der Beklagte habe zwar am 17.01.2017 den LKW des Versicherungsnehmers beschädigt. Dabei handle es sich um einen Unfall im Rahmen der Kaskoversicherung. Der Klägerin stehen aber weder Ansprüche des Versicherers noch übergegangene Ansprüche des Versicherungsnehmers gemäß § 86 Abs. 1 VVG zu. Der Beklagte habe keine Pflichten gegenüber dem Versicherer verletzt und Ansprüche aus übergegangenem Recht des Versicherungsnehmers seien nicht ersichtlich.
Ohne Erfolg beruft sich die Klägerin auf Obliegenheitsverletzungen des Beklagten aus dem zwischen dem Versicherer und der Versicherungsnehmerin bestehenden Kfz-Kaskoversicherungsvertrag. Der Beklagte sei gegenüber dem Versicherer zu keinen Angaben verpflichtet gewesen, denn er sei weder Versicherungsnehmer noch versicherte Person.
In der Kaskoversicherung sei der Fahrer eines Fahrzeuges – anders als in der Kfz-Haftpflichtversicherung – mangels eines versicherten eigenen Sachinteresses aber nicht mitversicherte Person, so dass er grundsätzlich wie ein beliebiger Dritter zu behandeln sei. Der Beklagte habe das kaskoversicherte Fahrzeug auf Weisung des Versicherungsnehmers – seines Arbeitgebers – genutzt. Eigene Interessen an dem Fahrzeug seien nicht ersichtlich.
Der Klägerin stehen auch keine Ansprüche aus übergegangenem Recht gemäß § 86 Abs. 1 VVG zu, denn sie habe nicht dargelegt und unter Beweis gestellt, dass der Versicherungsnehmerin als Arbeitgeberin gegen den Beklagten Ansprüche aus den §§ 611 ff., 280, 823 BGB zustehen, die durch Zahlung des Schadens auf den Versicherer gemäß § 86 Abs. 1 VVG übergegangen seien. Der Beklagte habe insoweit nicht in Abrede gestellt, dass der Versicherer die Reparaturkosten für den LKW an den Versicherungsnehmer in Höhe der eingeklagten Forderung bezahlt habe. Ansprüche stehen dem Versicherer jedoch nach den Haftungsbeschränkungen im Arbeitsverhältnis nicht zu. Grundlage für die Haftungsbeschränkung sei das vom Arbeitgeber – Versicherungsnehmer – zu tragende Betriebsrisiko. Der Umfang der Beteiligung des Arbeitnehmers an den Schadensfolgen sei durch eine Abwägung der Gesamtumstände zu bestimmen. Anhaltspunkte dafür, dass dem Beklagten mehr als nur leichteste Fahrlässigkeit vorgeworfen werden könne, seien von der Klägerin weder vorgetragen noch unter Beweis gestellt worden.
Ersatzansprüche der Versicherungsnehmerin, die auf den Versicherer übergegangen sein könnten, ergeben sich – unbeschadet der Strafbarkeit des Beklagten – auch nicht aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 142 StGB. Denn der Schutzbereich der Vorschrift sei im vorliegenden Fall nicht betroffen. § 142 StGB soll die Beweismöglichkeiten des bei einem Verkehrsunfall Geschädigten schützen. Die Vorschrift habe primär den Schutz von Vermögensinteressen, nämlich das Interesse an der Durchsetzung bereits begründeter deliktischer Ersatzansprüche, zum Zweck. Im vorliegenden Fall betreffe dies den Unfallgegner – den Eigentümer der beschädigten Bäume – und grundsätzlich auch die Versicherungsnehmerin als Eigentümerin des LKW. Das Schutzbedürfnis der geschädigten Versicherungsnehmerin sei hier jedoch nicht berührt, denn ein Nachteil sei ihr durch die Verletzung der Wartepflicht oder die unterlassene Benachrichtigung durch einen Anruf des Beklagten unmittelbar vom Unfallort aus nicht entstanden.


C.
Kontext der Entscheidung
Das OLG Dresden verweist hinsichtlich möglicher Obliegenheitsverletzungen des Beklagten aus dem Kaskoversicherungsvertrag zunächst darauf, dass der beklagte Fahrer gegenüber dem Versicherer zu gar keinen Angaben verpflichtet war. Nicht verwechselt werden darf die Situation im Kaskovertrag nämlich mit der in der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung: A.1.2 AKB, wonach der Fahrer mitversicherte Person ist, ist nur in der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung anwendbar. Dort ist ein Fahrer, der einen Unfall verursacht, Ansprüchen des Unfallgegners aus § 823 BGB ausgesetzt, so dass er insoweit Versicherungsschutz benötigt und daher in der Kfz-Haftpflichtversicherung mitversichert sein muss (vgl. Jungermann in: BeckOK Straßenverkehrsrecht, § 28 VVG Rn. 81). In der Kaskoversicherung ist der Fahrer eines Fahrzeuges jedoch mangels eines versicherten eigenen Sachinteresses nicht mitversicherte Person, so dass er grundsätzlich wie ein beliebiger Dritter zu behandeln ist (OLG Braunschweig, Beschl. v. 19.09.2017 - 11 U 10/17; BGH, Urt. v. 30.03.1965 - VI ZR 248/63). Der Beklagte hat das Fahrzeug nur auf Weisung des Versicherungsnehmers – seines Arbeitgebers – genutzt. Eigene Interessen an dem Fahrzeug sind nicht ersichtlich. Hinzu kommt, dass er weder am Abschluss des Versicherungsvertrages mitgewirkt hat noch sonstige Kenntnis von dessen Inhalt hatte. Ihm unter diesen Umständen vertragliche Obliegenheiten aufzuerlegen, würde dem Grundsatz der Privatautonomie widersprechen.
Zum Vergleich noch einmal die Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung: Der Fahrer genießt Versicherungsschutz und muss als mitversicherte Person gemäß § 47 VVG auch (selbst!) alle Obliegenheiten aus dem Versicherungsvertrag des Versicherungsnehmers beachten. Sofern der Fahrer in einer solchen Konstellation einen Dritten geschädigt und der Kfz–Haftpflichtversicherer hierfür Leistungen erbracht hat (hier: Bäume beschädigt), steht dem Versicherer wegen der Unfallflucht nach E.1.1.3 und E.2.3 AKB 2015 ein Regressanspruch i.H.v. höchstens 2.500 Euro gegen den Fahrer als mitversicherte Person (A.1.2 AKB) zu (vgl. Maier, RuS 2024, 25).
Fallen Versicherungsnehmer und Fahrer auseinander, ist an Ansprüche aus übergegangenem Recht gemäß § 86 Abs. 1 VVG zu denken (Rixecker in: BeckOK Straßenverkehrsrecht, § 86 VVG Rn. 14). Hierfür müssen Ansprüche aber überhaupt entstanden sein. Handelt es sich – wie hier – um die Sonderbeziehung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber, sind die Haftungsbeschränkungen im Arbeitsverhältnis zu beachten. Grundlage für die Haftungsbeschränkung ist das vom Arbeitgeber – hier der Versicherungsnehmer – zu tragende Betriebsrisiko. Nach den von dem Großen Senat des BAG entwickelten Grundsätzen haftet der Arbeitnehmer bei leichtester Fahrlässigkeit nicht, bei normaler Fahrlässigkeit ist der Schaden in aller Regel zwischen dem Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu verteilen und bei grober Fahrlässigkeit hat der Arbeitnehmer in aller Regel den gesamten Schaden zu tragen (vgl. BAG, Urt. v. 15.11.2012 - 8 AZR 705/11). Der Umfang der Beteiligung des Arbeitnehmers an den Schadensfolgen ist durch eine Abwägung der Gesamtumstände zu bestimmen, wobei insbesondere Schadensanlass, Schadensfolgen, Billigkeits- und Zumutbarkeitsgesichtspunkte eine Rolle spielen. Eine möglicherweise vorliegende Gefahrgeneigtheit der Arbeit ist ebenso zu berücksichtigen wie die Schadenshöhe, ein vom Arbeitgeber einkalkuliertes Risiko, die Risikodeckung durch eine Versicherung, die Stellung des Arbeitnehmers im Betrieb und die Höhe der Vergütung, die möglicherweise eine Risikoprämie enthalten kann (Weidenkaff in: Grüneberg, BGB, 82. Aufl., § 611 Rn. 157). Auch die persönlichen Verhältnisse des Arbeitnehmers und die Umstände des Arbeitsverhältnisses, wie die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Familienverhältnisse und sein bisheriges Verhalten können zu berücksichtigen sein. Dabei muss die Klägerin darlegen und beweisen, dass dem Arbeitnehmer (= Fahrer) mehr als nur leichteste Fahrlässigkeit vorgeworfen werden kann. Dies ist von den Umständen des Einzelfalls abhängig und die Klägerin hat dies hier nicht vermocht.
Schließlich wäre an die Verletzung eines Schutzgesetzes durch den Fahrer zu denken. Jedoch ist der Verstoß gegen § 142 StGB nicht geeignet, dem Kaskoversicherer einen Anspruch zu generieren. Denn der Schutzbereich der Vorschrift ist im vorliegenden Fall nicht betroffen (vgl. Krenberger in: BeckOK Straßenverkehrsrecht, § 142 StGB Rn. 2). § 142 StGB soll die Beweismöglichkeiten des bei einem Verkehrsunfall Geschädigten schützen. Die Vorschrift hat primär den Schutz von Vermögensinteressen, nämlich das Interesse an der Durchsetzung bereits begründeter deliktischer Ersatzansprüche, zum Zweck (BGH, Urt. v. 18.11.1980 - VI ZR 215/78). Dem Versicherer ist jedoch durch die Verletzung der Wartepflicht oder die unterlassene Benachrichtigung durch einen Anruf des Beklagten unmittelbar vom Unfallort aus ein Nachteil nicht entstanden. Insbesondere war es auch nicht erforderlich, die Feststellungen in jedem Fall durch einen Polizeibeamten zu ermöglichen. Eine solche Verpflichtung sieht auch § 142 Abs. 1 StGB nicht vor.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Erstaunlich ist, dass der Fahrer sich hier nicht auf AKB A.2.8. berufen hat. Die Regelung A 2.8 AKB 2015 schließt einen Regress des Versicherers gegen den berechtigten Fahrer in den Fällen fahrlässiger Schadensverursachung aus (Absatz 1) und erlaubt in den Fällen grob fahrlässiger Herbeiführung des Schadens (Absatz 2) nur einen sich quotal nach dem Maß der Schwere des Verschuldens richtenden Rückgriff (Rixecker in: BeckOK Straßenverkehrsrecht, § 86 VVG Rn. 45). Dass der Fahrer hier durch die Rechtsprechung des BAG auch geschützt war, ist gut für ihn, aber es scheint so, als ob er noch einfacher zur Klageabweisung hätte gelangen können (so auch Maier, RuS 2024, 25).
Ungeachtet dessen ist bei einer Verurteilung nach § 142 StGB stets im Detail zu beachten, wie sich dies versicherungsrechtlich auswirkt. Dass der Versicherer sich nach § 81 Abs. 2 VVG oder § 28 Abs. 2 VVG auf Leistungsfreiheit berufen könnte, kommt nur in Betracht, wenn eine echte Zurechnung des Fehlverhaltens erfolgen kann oder wenn eigene Pflichtverletzungen im Spiel sind. Ein Selbstläufer für einen Regressanspruch der Versicherung ist die Unfallflucht hingegen nicht.



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