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Anmerkung zu:OLG Köln 9. Zivilsenat, Urteil vom 21.11.2023 - I-9 U 206/22
Autor:Dr. Alexander Hoffmann, LL.M., RA
Erscheinungsdatum:19.01.2024
Quelle:juris Logo
Normen:§ 43 GmbHG, § 105 VVG, § 153 StGB, § 263 StGB, § 22 StGB, § 23 StGB, § 93 AktG
Fundstelle:jurisPR-VersR 1/2024 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Dr. Peter Schimikowski, RA
Zitiervorschlag:Hoffmann, jurisPR-VersR 1/2024 Anm. 1 Zitiervorschlag

Abtretung des Freistellungsanspruchs aus einer D&O-Versicherung



Orientierungssätze zur Anmerkung

1. Die Abtretung des Freistellungsanspruchs aus einer D&O-Versicherung an Erfüllungs statt an den Geschädigten verhindert nicht den bedingungsgemäßen Eintritt des Versicherungsfalls.
2. Die in § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG vorgesehene Beweislastumkehr gilt auch im Direktprozess, den die Gesellschaft aus abgetretenem Freistellungsanspruch gegen den D&O-Versicherer führt.



A.
Problemstellung
Die Entscheidung des OLG Köln beschäftigt sich mit verschiedenen rechtlichen Problemstellungen, die sich in Innenhaftungskonstellationen (d.h. im Rahmen der Inanspruchnahme eines Organs durch die eigene Gesellschaft) bei der Abtretung des Freistellungsanspruchs aus einer D&O-Versicherung an die geschädigte Gesellschaft ergeben. Dabei befasst sich der Senat insbesondere mit den möglichen rechtlichen Ausgestaltungen einer Abtretung des Freistellungsanspruchs sowie den daraus resultierenden deckungsrechtlichen Konsequenzen sowie mit der Frage, ob die Abtretung des Freistellungsanspruchs Auswirkungen auf die Verteilung der Beweislast im Direktprozess zwischen der geschädigten Gesellschaft und dem D&O-Versicherer haben sollte.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Klägerin macht gegen die Beklagte (als „führende Versicherung“ einer Versicherungsgemeinschaft) im Wege des Direktprozesses die von ihrem ehemaligen Geschäftsführer abgetretenen Ansprüche aus einem D&O-Versicherungsvertrag geltend, den die Klägerin bei der Beklagten abgeschlossen hatte.
Nach den dem D&O-Versicherungsvertrag zugrunde liegenden Bedingungen bietet der Versicherer Versicherungsschutz für den Fall, dass versicherte Personen wegen einer bei der versicherten Tätigkeit begangenen Pflichtverletzung auf Ersatz eines Vermögensschadens in Anspruch genommen werden, wobei der Versicherungsfall nicht die Pflichtverletzung, sondern die erstmalige Inanspruchnahme auf Ersatz eines Vermögensschadens in Textform darstellt (Claims-Made-Prinzip).
Die Klägerin nahm ihren ehemaligen Geschäftsführer auf Schadenersatz in Anspruch, da dieser nur für unzureichenden Versicherungsschutz gegen einen – zwischenzeitlich eingetretenen – Feuerschaden gesorgt habe.
Nach der Inanspruchnahme durch die Klägerin schlossen die Klägerin und ihr ehemaliger Geschäftsführer zwei Vereinbarungen: In einer ersten Vereinbarung trat der ehemalige Geschäftsführer seinen Freistellungsanspruch aus der D&O-Versicherung an die Klägerin ab; in einer weiteren Vereinbarung erklärte die Klägerin, gegen den Geschäftsführer im Hinblick auf dessen mögliche Pflichtverletzungen „keinerlei Vollstreckungsmaßnahmen (…) aus einem möglichen rechtskräftigen Zahlungstitel (…) durchzuführen (‚pactum de non petendo‘)“.
Die Klägerin ging daraufhin im Wege des Direktprozesses unmittelbar gegen die Beklagte vor. Das LG Köln (Urt. v. 04.08.2022 - 24 O 272/21) hatte die Zahlungsklage der Klägerin jedoch erstinstanzlich abgewiesen. Es hatte argumentiert, dass mit Abschluss der vorstehend beschriebenen Vereinbarungen kein bedingungsgemäßer Versicherungsfall mehr vorliege. Der ehemalige Geschäftsführer der Klägerin habe die Freistellungsansprüche nicht erfüllungshalber, sondern an Erfüllungs statt abgetreten und somit auf den Haftungsanspruch verzichtet. Da dem streitgegenständlichen D&O-Versicherungsvertrag das Claims-Made-Prinzip zugrunde liege, fehle es somit an der ernsthaften Inanspruchnahme des ehemaligen Geschäftsführers und folglich auch an einem bedingungsgemäßen Versicherungsfall.
Das OLG Köln hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen, doch nicht aus deckungsrechtlichen, sondern aus haftungsrechtlichen Gründen:
Zunächst verwarf der Senat die Argumentation des LG Köln, dass es im vorliegenden Fall an einem bedingungsgemäßen Versicherungsfall fehle. Eine interessengerechte Auslegung der zwischen der Klägerin und ihrem ehemaligen Geschäftsführer geschlossenen Vereinbarungen ergebe, dass die Abtretung der Freistellungsansprüche aus der D&O-Versicherung im vorliegenden Fall erfüllungshalber erfolgt sei. Dies habe lediglich die Stundung der ursprünglichen Forderung zur Folge, führe jedoch nicht zur Erfüllung und dem anschließenden Erlöschen des Haftungsanspruchs. Doch selbst wenn man von einer Abtretung an Erfüllungs statt ausgehe – bei der mit Abtretung der Haftungsanspruch erlösche –, habe dies nicht das Erlöschen des Deckungsanspruchs und die Leistungsfreiheit des Versicherers zur Folge (dazu unten ausführlich). Im Ergebnis könne somit eine Differenzierung, ob die Abtretung erfüllungshalber oder an Erfüllungs statt erfolgt sei, dahinstehen.
Auch weitere deckungsrechtliche Einwände der Beklagten wies das OLG Köln zurück. So könne weder ein Deckungsausschluss wegen einer wissentlichen Pflichtverletzung des ehemaligen Geschäftsführers noch eine Leistungsfreiheit wegen einer vorsätzlichen Verletzung der Auskunftsobliegenheit des ehemaligen Geschäftsführers angenommen werden.
Das OLG Köln verwarf den Zahlungsanspruch der Klägerin gegen die Beklagte letztlich aus haftungsrechtlichen Erwägungen, da der Klägerin kein Schadenersatzanspruch gegen ihren ehemaligen Geschäftsführer zustehe. Ein Schadenersatzanspruch ergebe sich nicht aus § 43 Abs. 2 GmbHG, da der Beklagten der ihr obliegende Beweis gelungen sei, dass die Entscheidung, den Versicherungsschutz entgegen der Empfehlung des Versicherungsmaklers nicht zu erhöhen, nicht auf einer Pflichtverletzung des ehemaligen Geschäftsführers der Klägerin beruht habe.
Das OLG Köln nahm in diesem Zusammenhang Stellung zu dem in der Literatur geführten Streit über die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast bezüglich der Pflichtverletzung im Direktprozess der Gesellschaft gegen den D&O-Versicherer nach Abtretung des Freistellungsanspruchs – auch wenn es auf diese Streitfrage für den vorliegenden Rechtsstreit nicht ankam, da der Beklagten der Nachweis einer fehlenden Pflichtverletzung des in Anspruch genommenen ehemaligen Geschäftsführers der Klägerin (wie bereits erwähnt) ohnehin gelungen war. Der Senat schloss sich dabei der Meinung in der Literatur an, die eine Anwendung der Beweislastumkehr nach § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG auch im Direktprozess zwischen der Gesellschaft und dem D&O-Versicherer annimmt (dazu ebenfalls sogleich ausführlich).


C.
Kontext der Entscheidung
Im Jahre 2016 bestätigte der BGH in zwei Grundsatzentscheidungen (vgl. BGH, Urt. v. 13.04.2016 - IV ZR 51/14 und BGH, Urt. v. 13.04.2016 - IV ZR 304/13) die Zulässigkeit der Abtretung von Freistellungsansprüchen in Innenhaftungskonstellationen durch das in Anspruch genommene Organ an die geschädigte Gesellschaft als Versicherungsnehmerin. Gleichwohl sind viele (prozess-)rechtliche Fragestellungen, die mit der Abtretung von Freistellungsansprüchen einhergehen, nach wie vor höchstrichterlich ungeklärt und auch nur selten Gegenstand obergerichtlicher Entscheidungen – was nicht überrascht, da viele D&O-Streitigkeiten, und insbesondere Innenhaftungsfälle, regelmäßig außergerichtlich bzw. durch Vergleich beendet werden (vgl. Lange, D&O-Versicherung und Managerhaftung, 2. Aufl. 2022, § 3 Rn. 73).
Mit zwei offenen Fragestellungen hat sich das OLG Köln nun in seiner Entscheidung vom 21.11.2023 – im Rahmen eines obiter dictum (da die Festlegungen des Senats für den Ausgang des Rechtsstreits im Ergebnis irrelevant waren) – auseinandergesetzt: Zum einen befasste sich der Senat mit den möglichen rechtlichen Ausgestaltungen einer Abtretung des Freistellungsanspruchs sowie den daraus resultierenden Konsequenzen für den Freistellungsanspruch; zum anderen nahm der Senat Stellung zu dem Literaturstreit, ob die Abtretung des Freistellungsanspruchs Auswirkungen auf die Verteilung der Beweislast im Direktprozess zwischen der geschädigten Gesellschaft und dem D&O-Versicherer haben sollte.
Mit Blick auf die rechtlichen Ausgestaltungsmöglichkeiten der Abtretung des Freistellungsanspruchs erläuterte der Senat zunächst die Unterschiede bezüglich der Rechtsfolgen für den Haftungsanspruch bei einer Abtretung erfüllungshalber (hier erlischt der Haftungsanspruch nicht) und einer Abtretung an Erfüllungs statt (hier erlischt der Haftungsanspruch mit der Abtretung). Der Senat stellte nach zutreffender Auslegung der zwischen den Parteien getroffenen Stillhaltevereinbarung fest, dass es sich im vorliegenden Fall um eine Abtretung erfüllungshalber gehandelt habe. Dass bei einer Abtretung erfüllungshalber der Freistellungsanspruch (ebenso wir der Haftungsanspruch) bestehen bleibt, ist in Literatur und Rechtsprechung unstreitig.
Anders verhält sich dies bei einer Abtretung des Freistellungsanspruchs an Erfüllungs statt. In diesem Fall sind die Rechtsfolgen für den Freistellungsanspruch in der Literatur umstritten.
Von einem Teil der Literatur wird vertreten (und dieser Meinung hatte sich erstinstanzlich auch das LG Köln angeschlossen), dass bei einer Abtretung an Erfüllungs statt der Freistellungsanspruch erlösche, da infolge der durch die Abtretung erfolgten Befriedigung des Haftpflichtanspruchs keine (ernsthafte) Inanspruchnahme und mithin auch kein bedingungsgemäßer Versicherungsfall mehr vorliege (vgl. Hoffmann-Becking, ZHR 2017, 737, 743; Cyrus, NZG 2018, 7, 11; Unmuth, AG 2020, 890, 893).
Die Gegenmeinung vertritt die Auffassung, dass auch eine Abtretung an Erfüllungs statt keine Auswirkungen auf das Schicksal des Freistellungsanspruchs habe und diesen insbesondere nicht erlöschen lasse. Dies ergebe sich mittelbar aus § 105 VVG, demzufolge eine Vereinbarung unwirksam sei, nach welcher der Versicherer nicht zur Leistung verpflichtet ist, wenn ohne seine Einwilligung der Versicherungsnehmer bzw. die versicherte Person den Dritten befriedigt oder dessen Anspruch anerkennt. Im Umkehrschluss folge daraus, dass der Versicherer zur Leistung verpflichtet bleibe, wenn der Versicherungsnehmer den Haftpflichtanspruch durch Abtretung an Erfüllungs statt befriedigt, wobei der Versicherer seine Leistung infolge der Befriedigung nunmehr nur noch in Form der Zahlung an die Gesellschaft erbringen könne (vgl. Koch, VersR 2023, 283, 285).
Das OLG Köln hat sich der Gegenmeinung als erstes Oberlandesgericht angeschlossen und sich dabei ausschließlich auf die von Koch vertretene Argumentation gestützt. Diese Positionierung sowie die dogmatische Begründung mit dem Umkehrschluss aus § 105 VVG überzeugt, die im Übrigen auch in der Literatur – soweit ersichtlich – bislang nicht in Frage gestellt wurde.
Ergänzend dazu lässt sich anführen, dass der BGH bereits in den Grundsatzentscheidungen vom 13.04.2016 (IV ZR 304/13) klargestellt hat, dass es der Eintrittspflicht des Versicherers nicht entgegenstehe, wenn der Geschädigte gegen den Schädiger allein und ausschließlich mit der Absicht vorgeht, den Deckungsanspruch des Schädigers gegen seinen Versicherer zu realisieren und für den Fall des Scheiterns von einer Inanspruchnahme des Schädigers absieht. Auch wenn eine solche begrenzte Inanspruchnahme des Schädigers letztlich allein auf die Haftpflichtversicherungsleistung ziele, sei dennoch der Versicherungsfall eingetreten.
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Annahme, durch eine Abtretung an Erfüllungs statt (und dem damit verbundenen Untergang des Haftungsanspruchs) würde auch der Deckungsanspruch erlöschen, letztlich als Rückzug auf eine Formalposition dar. Natürlich muss eine Inanspruchnahme, als das den Versicherungsfall (nach dem Claims-Made-Prinzip) auslösende Element vorliegen. Doch ist es nach der Rechtsprechung des BGH in deckungsrechtlicher Hinsicht unschädlich, wenn mit dieser Inanspruchnahme keine Vollstreckung in das Vermögens des Schädigers beabsichtigt ist. Für die deckungsrechtliche Bewertung sollte es deshalb keinen Unterschied machen, wenn der Haftungsanspruch nach der Inanspruchnahme des Schädigers als Folge einer Abtretung des Freistellungsanspruchs an Erfüllungs statt erlischt. Denn letztlich manifestiert sich durch den (vom Geschädigten als Gegenleistung für die Abtretung des Freistellungsanspruchs in Kauf genommenen) Untergang des Haftungsanspruchs nur die fehlende Absicht des Geschädigten, auf die Vermögenswerte des Schädigers Zugriff zu nehmen – was für die Eintrittspflicht des Versicherers jedoch irrelevant ist.
Als zweiten Problemschwerpunkt hat sich das OLG Köln mit der – in der Literatur äußerst umstrittenen und höchst- und obergerichtlich bislang ebenfalls nicht geklärten – Frage beschäftigt, ob die Abtretung des Freistellungsanspruchs Auswirkungen auf die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im Direktprozess zwischen Geschädigtem und Versicherer hat.
Hintergrund ist, dass in einem Prozess, in dem die geschädigte Gesellschaft ihren (ehemaligen) Geschäftsleiter aus Organhaftung in Anspruch nimmt, die Gesellschaft – in Abweichung von dem Grundsatz der Beweislast des Anspruchsstellers für sämtliche anspruchsbegründenden Tatsachen – lediglich die Darlegungs- und Beweislast dafür trägt, dass und inwieweit ihr durch ein Verhalten des Geschäftsleiters in dessen Pflichtenkreis ein Schaden entstanden ist. Der Geschäftsleiter hat hingegen darzulegen und ggf. zu beweisen, dass er seinen Sorgfaltspflichten nachgekommen ist und ihn kein Verschulden trifft, oder dass der Schaden auch bei pflichtgemäßen Alternativverhalten eingetreten wäre. Diese Beweislastverteilung folgt aus § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG, die nach der Rechtsprechung des BGH auch für die Innenhaftung eines GmbH-Geschäftsführers gilt.
Von einem Teil der versicherungs- und gesellschaftsrechtlichen Literatur wird vertreten, dass diese – für die geschädigte Gesellschaft vorteilhafte – Beweislastverteilung nicht im Direktprozess gelten solle, den die Gesellschaft aus abgetretenem Deckungsanspruch gegen den Versicherer führt. Diese Sichtweise wird auf verschiedene Argumente gestützt, die das OLG Köln in seiner Entscheidung umfassend darstellt. Insbesondere wird darauf verwiesen, dass die besondere Sach- und Beweisnähe des Organs zum haftungsrelevanten Geschehensablauf, die bei einem Haftungsprozess zwischen der Gesellschaft und dem Organ eine Umkehr der Beweislast nach § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG rechtfertige, dem D&O-Versicherer in einem Direktprozess gegen die Gesellschaft fehle. Der Versicherer habe weder aus eigener Anschauung Kenntnis über die fraglichen Vorgänge noch habe er unmittelbaren Zugang zu den entsprechenden Unterlagen oder – anders als das (ausgeschiedene) Organ im Haftungsprozess – einen Anspruch auf Herausgabe dieser Unterlagen. Dieses Informationsdefizit werde auch nicht durch die sich aus dem Versicherungsvertrag ergebenden bzw. gesetzlichen Auskunftsrechte des Versicherers kompensiert (vgl. u.a. Brinkmann, ZIP 2017, 301, 307; Spindler in: MünchKomm AktG, 6. Aufl. 2023, § 93 Rn. 239; Armbrüster in: Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 7, 6. Aufl. 2020, § 108 Rn. 107 ff.).
Die Gegenmeinung befürwortet hingegen die (analoge) Anwendung der Beweislastumkehr gemäß § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG auch im Direktprozess (vgl. u.a. Koch, VersR 2023, 283, 289; Glimpel, Die Abtretung von Deckungsansprüchen nach § 108 Abs. 2 VVG, S. 245; Harzenetter, NZG 2016, 728, 732; Baur/Holle, AG 2017, 141, 144; Lange, D&O-Versicherung und Managerhaftung, 2. Aufl. 2022, § 21 Rn. 42; Voit in: Prölss/Martin, VVG, 31. Aufl. 2021, AVB D&O Abs. A_9 A-9 Rn. 2).
Das OLG Köln schloss sich dieser Ansicht – ebenfalls unter umfassender Darstellung der diese Rechtsauffassung stützenden Argumente – an. Der Senat verwies insbesondere darauf, dass sich die Voraussetzungen der Anspruchsgrundlage des Haftungsanspruchs, der inzident im Rahmen des Deckungsprozesses zu prüfen sei, durch die Abtretung des Freistellungsanspruchs nicht geändert hätten. Lediglich der Gläubiger werde ausgewechselt, ansonsten bleibe das Schuldverhältnis unverändert. Zudem sei der D&O-Versicherer im Direktprozess nicht schlechter gestellt als im vergleichbaren Fall, in dem zunächst die Gesellschaft den Haftungsprozess durchführe und anschließend das verurteilte Organ die Versicherung im Deckungsprozess in Anspruch nehme. Tatsächlich geht der Senat wohl sogar von einer Besserstellung des Versicherers im Rahmen des Direktprozesses aus, da er – zutreffend – darauf hinweist, dass der Versicherer bei getrennter Führung der Prozesse an das Ergebnis des Haftungsprozesses gebunden sei, ohne an dem Rechtsstreit beteiligt zu sein. Demgegenüber könne der Versicherer im Direktprozess schon auf die Haftungsfrage Einfluss nehmen und ihm stehe das Organ, das vertraglich Auskunft und Mitwirkung schulde, als Zeuge zur Verfügung.
Im vorliegenden Verfahren konnte sich der Senat durch den Ausgang der Beweisaufnahme bzw. des Rechtsstreits in seiner Argumentation bestätigt sehen. Denn u.a. durch die Aussage des ehemaligen Geschäftsführers, der im Direktprozess als Zeuge zur Verfügung stand, konnte der Versicherer nachweisen, dass die Entscheidung, den Versicherungsschutz entgegen der Empfehlung des Versicherungsmaklers nicht zu erhöhen, nicht auf einer Pflichtverletzung des in Anspruch genommenen ehemaligen Geschäftsführers beruhte, sondern auf Weisung des zweiten – nicht in Anspruch genommenen – Geschäftsführers der Klägerin getroffen worden war.
Der prozessuale Vorteil des Versicherers, im Direktprozess auf das Organ als Zeugen zurückgreifen zu können, wird in der Literatur jedoch teilweise angezweifelt bzw. mit dem Hinweis relativiert, dass ein Organmitglied dem Ausgang des Direktprozesses kaum jemals neutral gegenüberstehen werde und insbesondere solche Fälle kritisch zu sehen seien, in denen ein kollusives Verhalten von Organwalter und Gesellschaft in Rede stehe. Dies gelte insbesondere für die GmbH (vgl. Armbrüster, Neues aus Köln zur D&O-Versicherung, VersR BLOG, Eintrag vom 08.12.2023). Dieser Einwand ist nicht völlig von der Hand zu weisen und tatsächlich dürfte die Gefahr kollusiven Verhaltens zwischen Organ und Gesellschaft bei einer GmbH (etwas) höher sein. Hintergrund ist, dass für eine GmbH grundsätzlich keine Selbstbehaltvereinbarungspflicht gilt und das – gegen das Risiko kollusiven Verhaltens vorgebrachte – Argument, dass ein Organ seine (Auskunfts-)Obliegenheiten gegenüber dem Versicherer bereits aus ureigenem Interesse wahrheitsgemäß erfüllen werde, da es bei pflichtgemäßer Erfüllung der Abwehrdeckung durch den Versicherer an den Ausgang des Direktprozesses gebunden sei und sich danach auch sein Selbstbehalt nach § 93 Abs. 2 Satz 3 AktG bemesse (vgl. Glimpel, Die Abtretung von Deckungsansprüchen nach § 108 Abs. 2 VVG, S. 248), deshalb nicht überzeugt. Auf der anderen Seite kann jedoch auch nicht pauschal angenommen werden, dass ein Organ im Direktprozess falsche Angaben als Zeuge machen werde, da es sich dadurch einer Strafbarkeit nach § 153 StGB sowie nach den §§ 263 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB aussetzen würde (vgl. Glimpel, Die Abtretung von Deckungsansprüchen nach § 108 Abs. 2 VVG, S. 248). Es ist somit nicht einzusehen, warum die Verfügbarkeit des Organs als Zeuge im Direktprozess ausschließlich für die Gesellschaft vorteilhaft sein sollte – was von Teilen der Literatur als Argument gegen die Erforderlichkeit der Anwendung der in § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG vorgesehenen Beweislastumkehr angesehen wird (vgl. Brinkmann, ZIP 2017, 301, 308; Armbrüster in: Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, § 108 Rn. 108). Vielmehr kann, wie der vorliegende Fall beweist, im Direktprozess durchaus auch der beklagte Versicherer von dem Organ als Zeugen und validen Beweismittel profitieren (vgl. auch: Langheid, Beweis und andere Lasten, VersR BLOG, Eintrag vom 30.11.2023).
Unabhängig davon, dass sich das OLG Köln in seiner Entscheidung für eine Beibehaltung der Beweislastumkehr gemäß § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG im Direktprozess ausgesprochen hat, dürfte die in der Literatur geführte Diskussion damit nicht beendet sein. Am Rande ist deshalb auch auf diejenigen Literaturstimmen hinzuweisen, die eine „vermittelnde“ bzw. eine am Einzelfall orientierte Lösung befürworten: Danach soll im Direktprozess die Beweislastumkehr gemäß § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG Anwendung finden, in Fällen, in denen der D&O-Versicherer dadurch einen erheblichen Nachteil erleiden würde (weil entscheidungserhebliche Informationen nur der Gesellschaft, z.B. in deren Archiven, zugänglich sind), die Gesellschaft jedoch eine (erhöhte) sekundäre Darlegungs- und Beweislast treffen (vgl. Harzenetter, NZG 2016, 728, 732; Glimpel, Die Abtretung von Deckungsansprüchen nach § 108 Abs. 2 VVG, S. 252). Diese Lösung, die im Übrigen auch bei der (allerdings deckungsrechtlich und nicht haftungsrechtlich relevanten) Frage der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast für Verwirklichung eines Risikoausschlusses vertreten wird (vgl. Lange, D&O-Versicherung und Managerhaftung, 2. Aufl. 2022, § 11 Rn. 8), würde den Vorteil, den die Beweislastverteilung gemäß § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG der Gesellschaft bringt, in der Praxis erheblich relativieren und für eine gewisse „Waffengleichheit“ zwischen den Beteiligten sorgen.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Das OLG Köln hat sich in seiner Entscheidung vom 21.11.2023 in bemerkenswert ausführlicher Art und Weise mit zwei Kernproblemen befasst, die im Zusammenhang mit der Abtretung von Freistellungsansprüchen in Innenhaftungskonstellationen diskutiert werden. Dabei ist zu begrüßen, dass sich das OLG Köln nicht mit der Darstellung des Streitstands begnügt, sondern sich auch klar positioniert hat, obwohl dies für den Ausgang des Rechtsstreits nicht erforderlich gewesen wäre. Das OLG Köln hat damit einen wichtigen Beitrag in der Diskussion um die zahlreichen rechtlichen Problemstellungen geliefert, die mit der Abtretung von Freistellungsansprüchen aus einer D&O-Versicherung einhergehen.
Mit Blick auf die Auswirkungen für die Praxis dürfte jedoch zwischen den beiden thematisierten Fragestellungen zu differenzieren sein:
Hinsichtlich der Frage, welche Auswirkungen die Abtretung des Freistellungsanspruchs an Erfüllungs statt mit sich bringt, schien sich bereits vor der Entscheidung des OLG Köln in der Literatur die Auffassung durchgesetzt zu haben, dass in diesem Fall kein Erlöschen des Freistellungsanspruchs anzunehmen sei. Dieser Trend dürfte durch die Entscheidung des OLG Köln noch verstärkt und diesbezüglich ein Stück weit Rechtsicherheit geschaffen worden sein (auch wenn eine höchstrichterliche Entscheidung natürlich noch aussteht). Für die Praxis bedeutet dies, dass Streitigkeiten über die Auslegung bzw. Ausgestaltung von Vereinbarungen betreffend die Abtretung von Freistellungsansprüchen künftig an Relevanz verlieren dürften, da es im Ergebnis keinen Unterschied macht, ob eine Abtretung erfüllungshalber oder an Erfüllungs statt vorgenommen wurde: Der Freistellungsanspruch erlischt nicht.
Anders sind die Auswirkungen für die Praxis bezüglich des Streits um die Beweislastverteilung zu bewerten. Das OLG Köln hat mit seiner Entscheidung auch hier wichtige Akzente gesetzt. Gleichwohl dürfte die Positionierung des OLG Köln – wie bereits erwähnt – nicht das Ende der dogmatischen Auseinandersetzung bedeuten. Dafür sind die Gegenstimmen in der Literatur zu zahlreich und auch deren Argumente, die das OLG Köln (teilweise) selbst in seiner Entscheidung erwähnt, nicht von der Hand zu weisen. Es ist deshalb noch völlig offen, ob sich die vom OLG Köln vertretene Auffassung, dass die Beweislastumkehr gemäß § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG auch im Direktprozess (analog) Anwendung finden solle, in der Rechtsprechung durchsetzen wird. Rechtssicherheit wird hier nur eine höchstrichterliche Entscheidung bringen. Bis dahin sollte bei der anwaltlichen Beratung das Risiko mit einkalkuliert werden, dass eine Gesellschaft in einem Direktprozess gegen den D&O-Versicherer ggf. nicht von der gesellschaftsfreundlichen Beweislastverteilung profitieren kann.



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