juris PraxisReporte

Anmerkung zu:EuGH 10. Kammer, Urteil vom 12.10.2023 - C-326/22
Autor:Prof. Dr. Eike Ullmann, Vors. RiBGH a.D.
Erscheinungsdatum:21.03.2024
Quelle:juris Logo
Normen:EWGRL 102/87, EGRL 48/2008
Fundstelle:jurisPR-WettbR 3/2024 Anm. 1
Herausgeber:Jörn Feddersen, RiBGH
Zitiervorschlag:Ullmann, jurisPR-WettbR 3/2024 Anm. 1 Zitiervorschlag

Informationspflicht der Bank bei vorzeitiger Kreditrückzahlung



Leitsatz

Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates ist dahin auszulegen, dass ein Verbraucher i.S.v. Art. 3 Buchst. a dieser Richtlinie vom Kreditgeber eine Ausfertigung dieses Vertrags sowie alle Informationen zur Rückzahlung des Kredits fordern kann, die nicht im Vertrag selbst enthalten sind, aber unentbehrlich sind, um zum einen die Berechnung des Betrags zu überprüfen, den der Kreditgeber aufgrund der Ermäßigung der Gesamtkosten des Kredits schuldet, die sich aus seiner vorzeitigen Rückzahlung ergibt, und zum anderen, um es diesem Verbraucher zu ermöglichen, eventuell eine Klage auf Rückzahlung dieses Betrags zu erheben.



A.
Problemstellung
Der Verbraucher als Kreditnehmer möchte wissen, ob er von der kreditgebenden Bank Auskunft über den Stand des Kredits verlangen kann, wenn er selbst dazu keine Informationen (mehr) hat.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Es geht um einen Fall aus Polen. Der Verbraucher zahlte seinen Kredit vor dem im fraglichen Vertrag festgelegten Fälligkeitszeitpunkt zurück und trat anschließend seine Forderung in Höhe des Betrags, den die Bank nach Art. 49 Abs. 1 und 2 des polnischen Verbraucherkreditgesetzes nach dieser vorzeitigen Rückzahlung schuldet, an Z., einen Gewerbetreibenden ab.
Der Verbraucher verfügte jedoch nicht mehr über ein Exemplar des fraglichen Kreditvertrags. Z hatte also keine weiteren Informationen über die genaue Höhe der Forderung. Der Bestand einer Forderung war unstreitig. Z hatte sich Bestehen der Forderung des Verbrauchers vom Biuro Informacji Kredytowej (Zentralstelle für Kreditinformation, Polen) bestätigen lassen.
Die Bank weigerte sich jedoch, dem Zessionar Z eine Zweitausfertigung des Vertrags zukommen zu lassen.
Die Klage des Z gegen die Bank auf Herausgabe eines Vertragsexemplars und weiterer Auskünfte veranlasste das Rayongericht für die Hauptstadt Warschau, den EuGH mit Blick auf Art. 16 der Richtlinie 2008/48 über Verbraucherkreditverträge, der das Recht des Verbrauchers auf vorzeitige Rückzahlung regelt, um Klärung zu bitten.
Es formulierte die Vorlagefrage wie folgt:
„Ist Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2008/48 im Kontext des Grundsatzes der Effektivität des Unionsrechts dahin auszulegen, dass ein Verbraucher oder ein Unternehmer, auf den der Verbraucher seine Rechte aus dieser Bestimmung der Richtlinie übertragen hat, auf Grundlage dieser Bestimmung fordern kann, dass der Kreditgeber eine Ausfertigung des Vertrags (sowie die Geschäftsbedingungen, die Vertragsbestandteil sind) herausgibt und Auskünfte zur Rückzahlung des Kredits erteilt, die unentbehrlich sind, um zu überprüfen, ob die Beträge, die zur Teilerstattung der Gesamtkreditkosten wegen seiner vorzeitigen Rückzahlung an den Verbraucher gezahlt wurden, richtig berechnet wurden, und um eine Klage auf etwaige Erstattung der vorstehend angeführten Beträge zu erheben?“
Zur Begründung hatte es u.a. ausgeführt, hätte der Verbraucher nicht das Recht, vom Kreditgeber die Herausgabe einer Ausfertigung des Kreditvertrags zu verlangen, würde dies schließlich dazu führen, dass der Verlust des bei Vertragsschluss erhaltenen Originals dieses Vertrags durch den Verbraucher faktisch zur Folge hätte, dass ihm die tatsächliche Möglichkeit genommen würde, die vom Kreditgeber nach Art. 49 Abs. 1 und 2 des Verbraucherkreditgesetzes geschuldeten Beträge einzutreiben. Diese Auslegung würde die Wirksamkeit des dem Verbraucher durch Art. 16 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie 2008/48 zuerkannten Rechts auf Ermäßigung der Kosten des Kredits beeinträchtigen, indem sie ihn der Gefahr aussetzen würde, dass seine auf dieses Recht gestützte Klage abgewiesen würde, dass er Verfahrenskosten des Kreditgebers tragen müsste oder dass er mit der Verjährung seiner Forderung konfrontiert würde.
Wie eigentlich nicht anders zu erwarten, gibt der EuGH die oben als Leitsatz wiedergegebene Antwort.
Der Gerichtshof konstatiert zwar, dass aus dem Wortlaut von Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2008/48 nicht ausdrücklich hervorgehe, dass der Kreditgeber, um dem Verbraucher die Ausübung seines Rechts auf Ermäßigung der Gesamtkosten des Kredits zu ermöglichen, verpflichtet sei, ihm bei Verlust des Vertrags eine Ausfertigung des Vertrags zur Verfügung zu stellen und ihm nicht im Vertrag enthaltene Informationen zu übermitteln, die für die Berechnung des dem Verbraucher nach dieser Bestimmung geschuldeten Betrags erforderlich wären. Er weist aber darauf hin, dass bei der Auslegung einer Unionsvorschrift nicht nur ihr Wortlaut zu berücksichtigen sei, sondern auch ihr Kontext und die Ziele, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden (EuGH, Urt. v. 11.09.2019 - C-383/18 Rn. 26 - NJW 2019, 3565).
Das Ziel der Richtlinie 2008/48 sei es nach ständiger Rechtsprechung einen hohen Schutz des Verbrauchers zu gewährleisten. Dieses Schutzsystem beruhe auf der Vorstellung, dass sich der Verbraucher gegenüber dem Gewerbetreibenden in einer schwächeren Verhandlungsposition befinde und einen geringeren Informationsstand besitze (EuGH, Urt. v. 11.09.2019 - C-383/18 Rn. 29 - NJW 2019, 3565). In Anbetracht eines hohen Schutzes der Verbraucherinteressen sei es erforderlich, dass der Verbraucher über sämtliche Informationen zu den Kosten des Kredits verfüge.
Der Verbraucher brauche zur Wahrung des Rechts auf Ermäßigung der Gesamtkosten des Kredits keinen anderen Nachweis als den der vorzeitigen Rückzahlung dieses Kredits zu erbringen. Daraus folge, dass es Sache des Kreditgebers sei, die erforderlichen Auskünfte zum Betrag der Ermäßigung der Gesamtkreditkosten zu erteilen, auf den der Verbraucher Anspruch habe.


C.
Kontext der Entscheidung
Auffallend ist, dass die erkennende Kammer des EuGH in ihre Begründung die Stellungnahme der polnischen Regierung einfügt, wonach der Kreditgeber kein berechtigtes Interesse daran habe, die Unterlagen zu verbergen, obwohl er wisse, dass der Verbraucher nicht über die Vertragsunterlagen verfüge. Damit drückt das Gericht sein (auf normalem Menschenverstand beruhendes) Unverständnis über die Haltung der Bank aus, aber auch seine Zweifel über die Notwendigkeit der Vorlageentscheidung des polnischen Gerichts. Dazu gehört auch der als (dringender) Apell zu verstehende Hinweis, dass der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts u.a. den nationalen Gerichten auferlegt, ihr nationales Recht so weit wie möglich unionsrechtskonform auszulegen (EuGH, Urt. v. 04.05.2023 - C-78/22 Rn. 39 - RIW 2023, 662 „ALD Automotive s.r./DY“).
Daraus folge insbesondere, so führt die Kammer weiter aus, dass ein nationales Gericht, bei dem wie hier ein Rechtsstreit ausschließlich zwischen Privatpersonen anhängig sei, bei der Anwendung der Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts, die zur Umsetzung einer Richtlinie erlassen worden sind, diese Bestimmungen anhand von Wortlaut und Zweck der Richtlinie auslegen müsse, um zu einem Ergebnis zu gelangen, das mit dem Ziel der Richtlinie vereinbar sei, unbeschadet bestimmter Grenzen wie u.a. dem Verbot einer Auslegung contra legem des nationalen Rechts (EuGH, Urt. v. 04.05 2023 - C-78/22 Rn. 40 - RIW 2023, 662).


D.
Auswirkungen für die Praxis
Der Fall gibt den nationalen Gerichten Mut zur selbstbewussten, unionsrechtsbezogenen Auslegung nationalen Rechts, das aus der Umsetzung des Rechts der Europäischen Union folgt.



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