Aktuelles Mietrecht: AGG-Schmerzensgeld nach Diskriminierung, Eigenbedarf & Corona
Das Mietrecht bietet derzeit viele Anlässe zum fachlichen Diskurs, von gesetzgeberischen Initiativen wie dem Mietendeckel über das Thema Diskriminierung mit möglichen Ansprüchen auf Schmerzensgeld, bis zur Beendigung von Mietverhältnissen im Zusammenhang mit Corona. Auch die Kündigung wegen Eigenbedarfs ist in Rechtsprechung und Gesetzgebung in Bewegung.
Wir bedanken uns bei Professor Dr. Christian Rolfs, Direktor des Kölner Instituts für Versicherungsrecht und u.a. Kommentator des Staudinger BGB, für seine Bereitschaft, uns im Rahmen eines Interviews Einblicke in aktuelle mietrechtliche Fragestellungen zu gewähren.
Anders als im Arbeitsrecht scheint das Verbot von Diskriminierungen nach dem AGG im Mietrecht noch nicht so recht „angekommen“ zu sein. Welche Möglichkeiten haben beispielsweise Mietinteressenten, die den Eindruck haben, dass ihnen gerade wegen ihres ausländisch klingenden Namens keine Wohnungsbesichtigung ermöglicht und damit das Zustandekommen eines Mietvertrages verhindert wird?
In der Tat sind Rechtsstreitigkeiten wegen der Diskriminierung von Mietern und Mietinteressenten deutlich seltener als solche von Arbeitnehmern oder Stellenbewerbern. Allerdings liegen einige interessante instanzgerichtliche Urteile vor, die die Rechtsprechung des BAG zum Arbeitsrecht auf das Mietrecht übertragen. Insbesondere wird es für zulässig gehalten, den nach § 22 AGG vereinfachten Beweis der Benachteiligung dadurch zu führen, dass man neben der eigenen „echten“ auch eine „Scheinbewerbung“ unter falschem – insbesondere: deutsch klingendem – Namen abgibt. Wenn der Vermieter dann den (nichtexistenten) „Deutschen“ zur Wohnungsbesichtigung einlädt, den „echten“ Bewerber mit fremdländisch klingendem Namen aber nicht, liegt ein ausreichendes Indiz für eine Diskriminierung vor. Dann kann neben dem – schwer darzulegenden – Schadensersatz auch eine angemessene Entschädigung wegen des Nichtvermögensschadens, also eine Art Schmerzensgeld beansprucht werden. Diese wird in Anlehnung an den eigentlich nur für das Arbeitsrecht geltenden § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG von den Gerichten auf drei Monatsmieten bemessen. Dadurch kommt in der Regel ein vierstelliger Betrag zusammen, steuerfrei überdies.
Im Wohnraummietrecht können Mieter sich selbst dann erfolgreich gegen eine Räumungsklage zur Wehr setzen, wenn der Vermieter ein berechtigtes Interesse an der ordentlichen Beendigung des Mietverhältnisses, etwa in Gestalt von Eigenbedarf, hat. Welche Anforderungen stellt das Gesetz an die „Härte“, die den Mieter zum Widerspruch gegen die Kündigung berechtigt?
Die gesetzliche Regelung ist von vielen unbestimmten Rechtsbegriffen geprägt. Der Widerspruch hat Erfolg, wenn die Beendigung des Mietverhältnisses für den Mieter, seine Familie oder einen anderen Angehörigen seines Haushalts eine Härte bedeuten würde, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen ist. Der BGH hat in einer Reihe von Entscheidungen, namentlich in einem Urteil vom 22.5.2019 (VIII ZR 180/18, BGHZ 222, 133), den Begriff der „Härte“ und die tatrichterlichen Abwägungsschritte konkretisiert: Das Alter des Mieters, die lange Mietdauer und damit verbundene Verwurzelung in der Umgebung begründen für sich genommen noch keine Härte. Sie können aber zusammen mit Krankheiten oder Gebrechen eine solche verursachen, insbesondere, wenn ein erzwungener Umzug diese verschärfen würde. Auf der anderen Seite sind auch die berechtigten Interessen des Vermieters, insbesondere beim Eigenbedarf zu gewichten. Der BGH hat den Tatsacheninstanzen hier ein umfangreiches „Pflichtenheft“ mitgegeben und sie zu gründlicher und sorgfältiger Feststellung des Sachverhalts, der ggf. amtswegigen Erhebung von Beweisen und der vollständigen Gewichtung der beiderseitigen Interessen unter Würdigung des gesamten Sachverhalts angehalten. Insbesondere könne nicht pauschal davon ausgegangen werden, dass in Gebieten mit durch Rechtsverordnung anerkannter angespannter Lage des Wohnungsmarktes jede Kündigung zugleich eine Härte bedeute.
Das Gesetz kennt bereits seit vielen Jahrzehnten eine Kündigungssperrfrist, wenn Miet- in Eigentumswohnungen umgewandelt werden. Der Vermieter darf dann für mindestens drei, unter Umständen bis zu zehn Jahre, nicht wegen Eigenbedarfs oder Hinderung wirtschaftlicher Verwertung des Objekts ordentlich kündigen. Unlängst hat der Deutsche Bundestag hier eine weitere Verschärfung beschlossen. Was hat es damit auf sich?
Die bisherige Regelung in § 577a BGB existiert zwar bereits seit langer Zeit, ist und bleibt aber politisch umstritten. Denn sie räumt dem Mieter zumindest für mehrere Jahre eine weithin kündigungsgeschützte Position ein. Letztlich hemmt sie die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen, weil als Kaufinteressen nur Kapitalanleger, aber keine Personen mit dem Wunsch der Eigennutzung in Betracht kommen. Warum es interessegerecht sein soll, zu verhindern, dass Menschen Eigentum zur Eigennutzung erwerben, hat sich mir bislang nicht erschlossen. Jetzt soll noch eine öffentlich-rechtliche Beschränkung draufgesattelt werden: Der Entwurf eines Gesetzes zur Mobilisierung von Bauland (BT-Drs. 19/24838) sieht die Einführung eines neues § 250 BauGB vor. In durch Landes-Rechtsverordnung festgelegten Gebieten mit angespannten Wohnungsmärkten wird die Begründung oder Teilung von Wohnungseigentum bei bereits bestehenden Wohngebäuden von einer behördlichen Genehmigung abhängig gemacht. Damit wird in diesen Gebieten weithin schon die Umwandlung von Immobilien in Eigentumswohnungen gehemmt. In noch stärkerem Maße als bisher wird also verhindert, dass Menschen Eigentumswohnungen zur Eigennutzung erwerben können. Was das mit der „Mobilisierung von Bauland“ zu tun haben soll, ist mir völlig unerfindlich. Die Regelung soll zwar bis Ende 2025 befristet sein, aber die bisherigen Erfahrungen mit der Mietpreisbremse lehren ja, dass man darauf nicht vertrauen sollte.
Die Corona-Pandemie hat viele Mieter, insbesondere von Gewerberäumen, in erhebliche wirtschaftliche Schwierigkeiten gebracht. Wie sind die Auswirkungen auf die Beendigung solcher Mietverhältnisse?
Hier muss man zwischen der Kündigung durch den Mieter und den Vermieter differenzieren. Anders als bei Wohnräumen sind bei Geschäftsräumen langfristig befristete Verträge zulässig und üblich. Die Mieter können sich dann nur durch außerordentliche Kündigung von ihnen lösen. Der bloße Umsatzeinbruch o.Ä. begründet kein Kündigungsrecht nach § 543 BGB, allerdings u.U. eine Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB). Seit dem 31.12.2020 gilt sogar eine entsprechende gesetzliche Vermutung. Bei § 313 BGB steht jedoch als Rechtsfolge eine Anpassung des Vertrages, insbesondere also eine temporäre Absenkung der Miete, im Vordergrund. Nur wenn die Anpassung unzumutbar ist, ist das Kündigung subsidiär möglich (§ 313 Abs. 3 Satz 2 BGB). – Kündigungen des Vermieters sind jedenfalls für Zahlungsrückstände während des ersten „Lockdowns“ im Frühjahr 2020 durch Art. 240 § 2 Abs. 1 EGBGB weithin gesperrt. Ist der Mieter in späteren Zeiträumen trotz der ggf. wegen Störung der Geschäftsgrundlage verminderten Miethöhe in Verzug geraten, bleiben sie möglich. Freilich wird sich jeder Vermieter auch hier gut überlegen, ob er diesen Schritt wirklich ergreift. Denn eine Neuvermietung ist in der derzeitigen Situation ja auch kein Selbstläufer, und ob man die bisherige oder gar eine höhere Miete wieder erzielen kann, ist bei vielen Gewerbeimmobilien alles andere als sicher.
Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 25. März 2021 den „Berliner Mietendeckel“ mangels Gesetzgebungskompetenz des Landes Berlin für verfassungswidrig erklärt. Drohen den Mietern jetzt Kündigungen, wenn sie die Mietrückstände nicht zeitnah ausgleichen?
Die Gefahr sehe ich nur in geringem Umfang, wenngleich weniger aus juristischen Gründen: Das Berliner Landesgesetz ist von Beginn an nichtig, die gegenüber dem „Mietendeckel“ vereinbarte höhere Miete also eigentlich rückwirkend fällig. Bis zur Veröffentlichung des BVerfG-Beschlusses am 15.4.2021 fehlt es freilich am Vertretenmüssen der Mieter, die sich auf die Wirksamkeit des Gesetzes verlassen haben. Danach aber mussten die offenen Mieten unverzüglich – ohne schuldhaftes Zögern – ausgeglichen werden, weil jedes Verschulden Verzug begründet (§ 286 Abs. 4 BGB). Summieren sich die Rückstände, wie in vielen Fällen, auf eine Monatsmiete, ist eine ordentliche (§ 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB), bei zwei Monatsmieten sogar eine außerordentliche Kündigung (§ 543 Abs. 2 Nr. 3 lit. b BGB) begründet. Die meisten Vermieter werden von diesem Kündigungsrecht aber wohl keinen Gebrauch machen, um die politisch ohnehin aufgeheizte Stimmung in dieser Frage nicht weiter anzufachen. Denn daran, dass – je nach Ausgang der Bundestagswahl – alsbald ein „Bundes-Mietendeckelgesetz“ kommt, haben sie sicher kein Interesse.
Professor Dr. Christian Rolfs
- Seit April 2009 am Kölner Institut für Versicherungsrecht der Universität zu Köln
- Dissertation "Die Haftung unter Arbeitskollegen", betreut von Peter Hanau
- Habilitationsschrift "Das Versicherungsprinzip im Sozialversicherungsrecht", betreut von Ulrich Preis
- Von 2001 bis 2009 Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Arbeits- und Sozialrecht sowie Versicherungsrecht der Universität Bielefeld
- Forschungsschwerpunkte im Bürgerlichen Recht, Arbeits- und das Sozialrecht sowie Privatversicherungsrecht, insb. im Mietrecht, im Recht der betrieblichen Altersversorgung, im Recht der Lebensversicherung, dem Arbeitsförderungs-, dem Kündigungsrecht und dem Recht der befristeten Arbeitsverhältnisse
- Kommentator im Staudinger BGB, Mitherausgeber des Emmerich/Sonnenschein Kommentars zum Mietrecht
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